Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Do 5. Sep 2013, 18:42 - Beitrag #641

Lars Saabye Christensen
mit ´Die blaue Kuppel der Erinnerung´soeben fertiggelesen. Gerne würde ich sein hochgelobtes´Der Halbbruder´
bald lesen wollen. Seine witzige schreibader gefällt mir, wirklich gut.

Tilman Jens
Vatermord
zu ende gelesen. Es ist eine art rechtfertigung des sohnes gegenüber der öffentlichkeit,
weil er seinen vater angeblich mit seinem buch ´Demenz´verraten und vorgeführt haben soll.
Gerne würde ich dies ebenso lesen, um seine verteidigung dbzgl verstehen zu können.

Paul Kornfeld
Legende
geschrieben im jahre 1917. Eine parabel um macht und sinnlosigkeit des krieges. witzig gemacht,
wenn man das dahinter versteht und darüber lachen kann.

Dai Sijie
Balzac und die kleine chinesische Schneiderin
eine interessante beschreibung des kommunistischen china und den anordnungen Mao Zedungs
im hintergrund und im vordergrund eine schön beschriebene liebeserklärung an die literatur,
an das leben, an eine frau.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 5. Sep 2013, 20:29 - Beitrag #642

du liest ganz schön viel in letzter Zeit^^ schön^^ ich müsste auch wieder mehr lesen^^

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Do 5. Sep 2013, 20:40 - Beitrag #643

..ich glaube nicht, dass du zu wenig liest...

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Mi 11. Sep 2013, 14:54 - Beitrag #644

Zoé Jenny
Das Blütenstaubzimmer

da sie bereits mit einem literaturpreis ausgezeichnet wurde und ausschliesslich positive
kritiken als junge autorin bekommen hatte, dachte ich, dann lese ich mal, um zu schauen, ob
das so stimmt. und für wahr, jedes ihrer geschriebenen sätze macht sinn, bzw sind so gestaltet,
dass ich immer weiterlas und gar nicht damit aufhören wollte. mir schien, als ob sie gar nicht sonderlich
nachzudenken brauchte und es automatisch aus ihr heraussprudelt, ohne etwas zu verbessern oder zu korrigieren.
wie die süddeutsche zeitung auch : hier zeigt sich ein talent, das zum schreiben geboren ist.

der inhalt dessen ist natürlich sehr interessant und spannend und unterhaltsam gehalten^^....
eine junge frau auf dem weg des loslassens der kindheit, der mutter, dem elternhaus....

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 17. Sep 2013, 12:33 - Beitrag #645

ist es ein Erwachsenenbuch, Schatz, oder eher eines für Jugendliche an der Grenze zum Erwachsensein?

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Fr 20. Sep 2013, 00:10 - Beitrag #646

..für jedermann geeignet schnuffi..^^ ;) wohl aber eher fürs weibliche publikum, sofern man dies in der literatur ausmachen kann...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 25. Sep 2013, 13:47 - Beitrag #647

Tom Clancy
Der Schattenkrieg

Heyne, 2012
gelesen: Kindle-Version

Eigentlich nichts anderes als ein handelsüblicher Agententhriller in stile Ludlum, etwas weniger stark auf eine einzelne Person fokussiert als in dessen Romanen. Nichts, was sich hier vorzustellen lohnte; Clancy punktet zwar mit einer beinahe absurden Spannung, bringt aber im Grunde nichts, was nicht in anderen Thrillern des Genres schon so oder ähnlich viele Male dargestellt wurde. Jedoch ...

Die handelnden Personen - im wesentlichen Einsatzagenten von CIA, FBI, Küstenwache und Army, daneben ihr Führungspersonal bis hoch zu Kongreßabgeordneten und dem Präsidenten - agieren auf Grundlage extrem patriotischer Überzeugungen an den Grenzen dessen, was die amerikanische Verfassung gerade noch so formal als legitim absichert. Sie wissen, dass sie diese Grenzen oft genug überschreiten, und die interessanteren Stellen des Buches ergeben sich aus den Reflexionen, mit denen sie ihre vielfachen Verfassungsübertretungen vor sich selbst rechtfertigen. Die Kollateralschäden, die kriegsanalogen Einsätze in befreundeten Staaten mit demokratischer Regierung, die Ermordung zu "mild" bestrafter Strafgefangener - all das und vieles mehr wird nicht abgestritten, aber auch nicht in Frage gestellt, sobald es gelingt, diese Übertretungen in einer formalen Konstruktion aufzufangen. Diese Personen operieren mit den Formalien, sie versuchen nicht, den Sinn der Formalien zu erfüllen.

Was das Buch für mich problematisch macht, ist die Darstellungsweise. Über viele Seiten dachte ich, im falschen Film einer einseitigen Apologetik des Übergriffs und Übertretens zu sein. Clancy baut keine Distanz zu seinen Protagonisten auf, er zeigt die Vereinbarkeit illegitimer Aktionen mit persönlichen patriotischen Moralvorstellungen, und immer ist es die Verfassung, die weichen muss. Im Laufe dieser Schilderungen werden die Aktionen aber immer problematischer bis ich irgendwann einen Punkt erreichte, an dem ich nicht mehr entscheiden konnte, ob das jetzt tatsächlich Apologetik ist, oder Offenlegung von Missständen.

Am wahrscheinlichsten ist es so, dass er mit der Offenlegung kokettiert. Ich kann nicht wirklich erkennen, dass er sich distanziert, am Ende wird alles glatt gebügelt, selbst richterliche Entscheidungen sind dem Vertuschen von Schweinereien verpflichtet, ohne dass dies essentiell in Frage gestellt wird. Es wird zwar immer wieder die Frage gestellt, ob die Maßnahme dem Problem angemessen ist, aber wenn ja - wie immer - wird sie quasi mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen und bestätigt.

Möglicherweise gelingt Clancy hier ungewollt ein durchaus entlarvender Blick in die Innenseite der amerikanischen Politik. Dieses möglicherweise ist aber in Großbuchstaben zu lesen. Genauso passend ist eine Lesart, die ihm unterstellt, patriotische Empfindungen dummer US-Amerikaner mit gängigen wohlwollenden Klischees von "unseren Jungs" bei Army und Geheimdienst zu füttern.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 25. Sep 2013, 14:07 - Beitrag #648

Das klingt sehr spannend hinsichtlich der Frage, inwieweit eine solche doppelte Lesbarkeit beabsichtigt war, und wenn, ob sie erkannt wurde - wäre es nicht sinnvoll, dazu US-Rezensionen zu verfolgen? Ein neuer Clancy-Roman wird/wurde sicherlich breit diskutiert, gerade mit dieser Thematik. Ich könnte mir z.B. sehr gut vorstellen, daß Fox begeistert von dem Buch ist, die Huffington Post aber auch ihre Freude hat...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 26. Sep 2013, 09:46 - Beitrag #649

wäre ich stärker an Clancy interessiert, wäre das eine Option, ja^^ aber eigentlich war es nur Entspannungslektüre zwischendurch^^

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 8. Okt 2013, 12:01 - Beitrag #650

Zoë Jenny
Das Blütenstaubzimmer

Erstausgabe 1997
gelesene Ausgabe Frankfurter Verlagsanstalt (25. Juli 2011)

Habe das Buch auf Grund der Besprechung vom Schätzle etwas weiter oben gelesen und muss sagen, dass ich schon Erstlingswerke gelesen habe, die mich weitaus weniger faszinieren konnten.

Der Plot: Mädel zwischen 15 und 17 kommt mit der Scheidung ihrer Eltern nicht klar und entwickelt starke Ambitionen auf Soziopathen-Status. Sie kämpft im Prinzip um den Fortbestand gewohnter Verhaltensweisen seitens ihrer Eltern, und da diese in den neuen Lebensumgebungen ihrer Eltern keinen Sinn mehr machen, scheitert sie mit diesem Kampf. Vor diesem Hintergrund gelingen ihr auf Grundlage einiger bemerkenswert kalter Aktionen ein paar bemerkenswert kalte Beobachtungen über eine bemerkenswert kalte soziale Umgebung. Das Ende ist offen, der Weg in den Selbstmord erscheint allerdings am wahrscheinlichsten, wenn auch nicht zwingend.

Was nun ein normaler rebellisches-Trennungskind-in der-Pubertät-Roman hätte werden können, wird durch eine für ein Erstlingswerk beinahe unheimliche innere Geschlossenheit der Erzählung, unterstützt von einer phänomenalen Sprachbeherrschung der Jenny zu einem sowohl spannenden als auch anregenden Lesevergnügen erster Güte. Auch ist die Vermutung, dass die Jenny da ihre eigene Haut zu Markte tragen könnte, sicher nicht zu weit her geholt. Ich will nicht so weit gehen zu behaupten, dass hier eine neue Virginia Woolf oder eine neue Sylvia Plath heranreift, wundern würde es mich aber nicht, wenn sie sich diesen Rang erarbeiten könnte.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Di 8. Okt 2013, 13:50 - Beitrag #651

Vor mindestens 12 Jahren hatte es bei uns schonmal eine Kurzgeschichte von ihr in den Deutschunterricht geschafft - siehe mein differenziertes Urteil von 2002:
Gegen Zoe Jenny habe ich eine Abneigung, von der haben wir mal im Deutschunterricht eine Kurzgeschichte gelesen. So ziemlich das schwachsinnigste Stück "Literatur", dass mir je untergekommen ist...
Den Titel weiß ich leider nicht mehr, iirc war es aber ein typisches Beispiel selbstverliebter Stilspielerei.
Meines Wissens wurde sie auch damals und noch ein paar Jahre lang als Parade-Gegenwartsautorin quer durch die Feuilletons gejubelt, ist aber inzwischen weitgehend in der Versenkung verschwunden, Rangerarbeitung ist wohl höchstens in engem Kreise zu erwarten.


Nach Xenocide (meines Erachtens schon deutlich schwächer als Ender 1+2, da zu wenige spannende neue Themen, zuviel Familien-Klein-Klein und wirre Metaphysik):

Sergej Lukianenko - Wächter der Nacht: seit Erwerb vor zig Jahren schon zweimal erfolglos angefangen, wenn auch eher durch Zufall als durch abschreckende Schwächen. Jetzt endlich mal reingekommen. Stilistisch etwas holprig (sicher zum Teil der Übersetzung geschuldet, manchmal merkt man selbst als Russisch-Nichtkenner, dass grammatikalische Feinheiten nicht korrekt erfasst wurden) und mit einer zwar mit der Herkunft erklärbaren, aber doch für einen Gegenwartsroman etwas nervigen Dosis Frauen- und Homosexualitäts-Verachtung gewürzt. Aber gute Unterhaltungsliteratur, bei der im Gegensatz zur stilsicheren, aber reichlich wirren Verfilmung das Weltkonzept der "Anderen" auch sehr klar dargestellt wird.

Michal Reaves & Mallory Reaves - Interworld 2: The Silver Dream: Neil Gaiman steht zwar noch prominent auf dem Cover, hat aber wohl kein Wort zur Fortsetzung beigetragen. Da schon der Vorgänger nicht über seinen Jugend-Status hinauskam und dem Parallelerden-Konzept auch weniger Neues abgewann als später Pterry-Baxters "Long Earth", erwarte ich nicht mehr als schnell durchlesbare Simpelkost, die ich mir bei genauerer Autorenrecherche wohl auch gespart hätte.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 8. Okt 2013, 15:07 - Beitrag #652

Rangerarbeitung ist wohl höchstens in engem Kreise zu erwarten


na ja, wenn Standard-Leser es nicht irgendwo gelesen hätten, wüssten außerhalb enger Kreise auch kaum jemand etwas vom Rang einer Woolf oder Plath^^ der Verbreitungsgrad ist aus meiner Sicht kaum ein Kriterium für Qualität^^


Nach Xenocide (meines Erachtens schon deutlich schwächer als Ender 1+2, da zu wenige spannende neue Themen, zuviel Familien-Klein-Klein und wirre Metaphysik)

ich glaube beinahe, du hast einfach was gegen Soziologie in der SF^^ bei anderen Genres würde man den Inhalt des von dir Kritisierten als etwas empfinden, was eine Erzählung gerade lebendig werden lässt. Und die wirre Metaphysik habe ich als faszinierende Möglichkeit empfunden, Spiritualität mit hartem Materialismus zu versöhnen^^ aber Menschen sind eben verschieden^^

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Di 8. Okt 2013, 16:26 - Beitrag #653

Woolf zumindest gehört doch zum recht engen Kanon und ist auch recht häufiger Schulstoff, das geht über mal "irgendwo von ihrem Rang gelesen" schon noch hinaus.
"Rang" ist für mich weder ein Kriterium für noch eine automatische Konsequenz von Qualität, sondern eine rein reputationsbedingte Zuweisung, die von verschiedenen und verschieden großen Rezeptorenzirkeln nach verschiedenen Kriterien ausgesprochen werden kann.

--> Ender

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 8. Okt 2013, 16:33 - Beitrag #654

okay, dann verwenden wir den Begriff des Ranges an dieser Stelle unterschiedlich. Ich meinte mit "Rang" in erster Annäherung die anhand des Gesamtwerks erkennbare inhärente künstlerische Qualität eines/r Autor/in, nicht das Maß der ihm/ihr entgegengebrachten Anerkennung

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Di 8. Okt 2013, 16:42 - Beitrag #655

Ok, dazu passt auch eher, dass die Autorin "heranreift". In meiner Interpretation muss ja eher das Publikum reifen. ;)
Dann mal viel Spaß bei 15 Jahren Jenny-Aufarbeitung.
Und es mag natürlich sein, dass sie es in einer Kurzgeschichte auf experimentelle Weise übertrieben hat, in Langform aber das gesunde Maß besser kennt.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
So 13. Okt 2013, 16:21 - Beitrag #656

Paolo Giordano
Die Einsamkeit der Primzahlen

Original: La solitude dei numeri primi
deutsche Version: Heyne Verlag (8. Dezember 2010), Bruno Genzler (Übersetzer)

Mattia und Michela sind ein Zwillingspärchen. Während sich bei ihm sehr früh Anzeichen einer mathematischen Extrembegabung erkennen lassen, ist die Entwicklung ihres Verstandes im Alter von etwa einem Jahr einfach stehen geblieben. Mattia kümmert sich rührend um sie, aber beide geraten sehr früh ins soziale Abseits, da kaum ein Klassenkamerad sich mit den beiden Außenseitern abgeben will. Ein einziges Mal gerät diese Fürsorglichkeit Mattias ins Wanken; auf Initiative ihrer Eltern hin werden sie von einem Klassenkameraden widerwillig zu dessen Geburtstagsfeier eingeladen; Mattia, kaum acht Jahre alt, erkennt darin eine einzigartige Chance, der sozialen Isolation zu entkommen; auf dem Weg zur Geburtstagsfeier lässt er Michela in einem Park mit ein paar Spielsachen zurück. Als er zurück kommt, ist sie verschwunden und wird nie wieder auftauchen. Mattia wird von seinen Schuldgefühlen in den Autismus getrieben und einen Großteil seiner restlichen Kindheit bis in die Adoleszens hinein damit verbringen, sich zu ritzen und auf jede erdenkliche Weise körperliche Schmerzen zuzufügen.

Alice ist einziges Kind reicher Eltern, und wenn es im Allgemeinen ein Klischee sein mag, stimmt es in ihrem Fall: ihre Eltern kaufen sich mit viel Geld davon los, sich um sie kümmern zu müssen. Sie reagiert darauf mit zunächst heimlichen kleinen Verweigerungshaltungen, die schließlich anlässlich eines Skikurses, den sie als unzumutbaren Zwang empfindet, zur Katastrophe führen: im Skianzug beginnt sie, sich erst vollzunässen, und dann etwas später, schon am Berg, vollzukacken. Vor Scham versucht sie, die sechsjährige Anfängerin, den anderen Teilnehmern mit einer Abfahrt zu entkommen, übersieht dabei ein Sperrvermerk und stürzt in einem ungesicherten Tiefschneegebiet in einen Graben. Das gebrochene Bein wird steif bleiben und zusammen mit einer ebenfalls dem Unfall zu verdankenden Narbe im Unterleib dazu führen, dass sie sich später, während der Pubertät, so unattraktiv fühlen wird, dass sie in einen Schlankheitsgewahn und schließlich in die Anorexie gerät.

Das Buch schildert, wie die Lebenswege von Mattia und Alice sich zunächst berühren und anscheinend unauflösbar ineinander verschlingen. Alles, buchstäblich alles, ist unendlich mühsam, Kleinigkeiten, die andere einen Augenblick kosten, brauchen zwischen ihnen Jahre der Entscheidungsfindung. Dabei stellt sich Ehrlichkeit zwischen ihnen erst recht spät ein, sie schätzen im jeweils anderen zunächst einmal den instinktiv gespürten und gewährten Respekt vor den je eigenen Rückzugszonen. Erst sehr viel später erzählt ihr Mattia von Michela; sie erzählt ihm zwar allgemein von dem Unfall, spart dabei aber die Details aus, und er ist zu beschäftigt mit der eigenen Isolation, um daraus Rückschlüsse auf ihre körperliche Verfassung zu ziehen. Sie werden einander nie umarmen und nur zweimal küssen.

Er wird schließlich Mathematiker, gewinnt mit einer Arbeit zur Riemannschen Zetafunktion erhebliche Reputation in der Szene, die ihm eine Professur im Ausland einbringt. Sie wird Fotografin, heiratet einen Arzt und stößt ihn von sich in dem Moment, wo dieser ein Kind möchte. Sie kommen anlässlich dieses Ereignisses noch ein letztes Mal zusammen, doch etwas ist anders geworden. Als sie sich nach wenigen Stunden wieder trennen, sind sie frei voneinander, frei wofür bleibt in ihrem Fall offen, in seinem Fall deutet sich die Möglichkeit einer Beziehung zu einer Kollegin an.

Der Titel bezieht sich auf Primzahlzwillinge, die einander so nahe kommen können, wie es nur möglich ist, aber immer eine andere Zahl zwischen sich stehen haben. So ist es auch bei Mattia und Alice. Für beide existiert die Welt nur in Form einer Bedrohung, gegen die sie sich jede/r für sich und nochmal miteinander abgeschottet haben, doch immer steht jemand und etwas zwischen ihnen. Sie können nicht verschmelzen.

Ein verstörend schönes Buch.

Padreic
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4485
Registriert: 11.02.2001
So 13. Okt 2013, 23:53 - Beitrag #657

@Ipsi: Ich hab das vor zwei Jahren auch gelesen und kann dein Urteil durchaus teilen.

Ich selbst hab mir in relativ rascher Folge vier Science-Fiction-Werke gegönnt. Zunächst habe ich von Asimov I, Robot, Caves of Steel und The Naked Sun gelesen. Ersteres ist eine Sammlung von Roboterkurzgeschichten. Die beiden letzteren sind Krimis, die um ein Ermittlungsteam, das aus einem Menschen und einem humanoiden Roboter bestehen. Die Bücher sind allesamt interessant, die beiden Krimis sind aber deutlich spannender und die kann ich voll empfehlen. Interessant auch Asimovs nett (vermutlich) fehlerhaftes Bild der Zukunft der Stadt.

Gestern las ich dann Clarke's Childhood's End'. Intelligente und kohärente Geschichte, spannend geschrieben, gegen Ende wird es aber für meinen Geschmack ein wenig extrem.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
So 20. Okt 2013, 12:29 - Beitrag #658

Don DeLillo
Cosmopolis

englische Erstausgabe 2003
gelesen deutsche Version für Kindle, basierend auf der Übersetzung von Frank Heibert, KiWi Paperback, 2. Auflage, 2012

Das Buch beschreibt den letzten Tag im Leben von Eric Packer, Selfmade-Milliardär der New Economy, eine 24stündige Odyssee durch Manhattan, das infolge des Besuchs des Präsidenten im Ausnahmezustand ist. Für Packer ist die Manipulation von Aktienkursen und Währungen so selbstverständlich wie für andere das Atmen, ein abstraktes Spiel mit Zahlen und Diagrammen, ohne Bezug zu Menschen und Werten, doch an diesem letzten Tag geht etwas schief, der Yen entzieht sich seinen Vorhersagen, und Packer verliert an diesem Tag soviel Geld, dass es für den Staatshaushalt kleinerer Staaten gereicht hätte. Er verbringt diesen Tag in einem Zustand zwischen Todessehnsüchtigkeit, Überdruß, sexuellen Eskapaden und Lust an der Zerstörung, erschießt seinen Leibwächter und begibt sich zuletzt von selbst zu dem Attentäter, einen ehemaligen Angestellten, vor dessen Existenz und Absicht er den ganzen Tag immer wieder gewarnt wurde. Eric Packer wird sterben, so oder so oder so - durch die Kugel seines Attentäters, durch die innere Leere seiner am Leben entlang emotionaler Extremzustände erschöpften Psyche oder aufgrund der Folgen des Zusammenbruchs seines Konsortiums. Während er seinem Attentäter gegenüber sitzt und auf die Kugel wartet, erkennt er, dass er bereits tot ist und die Kugel auf der körperlichen Ebene lediglich vollenden wird, was er sich auf der psychischen Ebene längst selbst angetan hat.

DeLillos Buch ist ein Meisterwerk, absolut herausragend in Sprache und Inhalt und keinen Moment langweilig, obwohl es im Wesentlichen nur aus Reflektionen Packers über sein Leben besteht.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 23. Okt 2013, 12:20 - Beitrag #659

Boris Vian
Der Schaum der Tage

frz. Original L´écume des jours, 1946
gelesen: deutsche Ausgabe von Gruner + Jahr, März 2010 (= Brigitte Buch-Edition: Die Liebesromane)

der Plot: einfach, sehr einfach. Reicher, aber netter Schnösel verliebt sich in die erste verfügbare Frau von adäquatem sozialem Status und ansprechendem Äußeren, und vice versa. Es wird sehr schnell und äußerst prunkvoll geheiratet, noch auf der Hochzeitsreise wird die Frau von Druck auf der Brust gequält, der sich als Lungenkrebs entpuppt. Frau siecht dahin, Mann verliert sein gesamtes Vermögen in dem Versuch, ihr Hilfe zukommen zu lassen, Frau stirbt, Mann ist mittlerweile arm wie eine Kirchenmaus, Frau kommt ins Armengrab, Mann begeht Selbstmord.

Ein zweiter, dazu gemixter Plot: reicher, aber netter Schnösel (derselbe wie oben), hat einen relativ armen Freund, der auf Jean-Sol Partre (!) steht und sich in den Kopf gesetzt hat, alle dessen Werke zu sammeln, was sein minimales Vermögen ruiniert und die Beziehung zur Cousine von reichen Freundes Koch belastet. Zuletzt schickt er das arme Mädchen in die Wüste, weil er alles verfügbare Geld auf den Erwerb aller verfügbaren Bücher Partres verwendet hat, und sich jetzt zu sehr schämt, was beides zusammen genommen das arme Mädchen - also die Cousine des Kochs -zu einem Amoklauf veranlasst, dem Jean-Sol Partre und alle Buchhändler in Paris, die Werke von selbigem im Warenangebot führten, zum Opfer fallen, größtenteils sehr blutig und auch sehr feurig. Im letzten Feuer, im Haus ihres Geliebten, stirbt sie selbst, während der Geliebte von der Polizei erschossen wird, die eigentlich Schulden eintreiben wollte, was dann ein bisschen entgleiste.

Soweit, so trivial. Was den Roman weit aus dem Trivialen heraushebt und zu einem Werk von Weltrang macht, ist die sureal-irreal-expressionistische Sprache und Atmosphäre. Der Koch kredenzt einen Aal, den er zuvor mit einer Ananas aus dem Wasserhahn in der Küche gezogen hat, ständig passieren irgendwelche abtrusen, aber wundersamen Geschichten, die in normaler Realität nicht möglich sind. Nahezu alles Reale wird sureal umzeichnet, so hat die junge Ehefrau keinen Lungenkrebs, nein, in ihrer Lunge wächst eine Seerose, die sich im Röntgenbild deutlich als solche zu erkennen gibt. Daneben Charakterzeichnungen und Handlungsdarstellungen von äußerster Lakonie und Brutalität, vor allem gegen Ende zu.

Der Selbstmord des Mannes wird übrigens nicht in realis expliziert, das wird an seine Maus übertragen. Die begibt sich zu ihrer Freundin, der Katze, die es allerdings entrüstet und gelangweilt ablehnt, das Ansinnen der Maus zu erfüllen. Schließlich einigen sich die beiden darauf, dass beide sich zum Dom begeben, wo gerade das Domkapitel tagt, die Katze sich auf den Bürgersteig legt und den Schwanz ausrollt, während die Maus ihren Kopf zwischen ihre Zähne steckt. Dann warten sie und das Buch endet damit, dass eine Gruppe von blinden Mädchen, alle Mitglieder des Kirchenchors, den Dom verlässt^^

Ein federleicht gezeichnetes Buch mit schwerem Gehalt, der hinter der Zeichnung verborgen bleibt. Mehr als einmal bleibt das Lachen in der Kehle stecken. Wie es allerdings dazu kommen konnte, dass der Roman in die Brigitte-Liebesroman-Sammlung aufgenommen wurde, ist mir ein Rätsel^^ es handelt sich zwar um eine Liebesgeschichte, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass diese Geschichte und die Art ihrer Erzählung mit dem normalen Anforderungsprofil idealtypischer Brigitte-Leserinnen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.

Ich bin sehr auf den Film gespannt^^

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mo 28. Okt 2013, 21:29 - Beitrag #660

@Padreic: Die Asimovs habe ich vor längerer Zeit auf Deutsch gelesen. Die Krimirahmenhandlung ist ein ganz netter Kniff, um aus reiner Weltexposition doch noch vollwertige Bücher zu stricken. Ich meine mich aber zu erinnern, diese Fassade teilweise etwas zu durchsichtig gefunden zu haben. Aber sicher zu Recht Klassiker des Genres.
Und die Robotergeschichten sind vielleicht nicht spannend, aber dafür ein schön buntes Spektrum. Als Komplementärfarbenergänzung empfehle ich Lems Robotermärchen.

Lukianenko wurde nach ca. 2/3 des ersten Bandes dank 3-in-1-Gewichtsnachteil auf nach dem Urlaub aufgeschoben, dazwischen:

Rosemary Kirstein - The Steerswoman (1989) und The Outskirter's Secret (1992)
Wurde hier schonmal von Makeda und Kalessin angerissen, mir seitdem von letzterer aufgedrängt, äh, empfohlen. ;) Tatsächlich sehr lesenswert, wenn auch kaum spoilerfrei zu beschreiben.
Dass die Fantasy-Welt einen SF-Hintergrund hat, kann man wohl getrost erwähnen, da es zwar den Figuren nicht bewusst ist (dies aufzudecken, scheint die Serie hindurch der Haupthandlungsfaden zu sein), für den Leser aber schon sehr früh klar wird. Die Stärker der Bücher ist dann auch die Wahrung der primitiven Perspektive auf "magische" Gerätschaften und Sachverhalte. Wobei die Hauptfigur dem titelgebenden "Steuerfrauen"-Orden angehört, quasi geschworenen Wissenschaftlern mit sehr aufgeklärtem Denken (mit fast schon Mentaten-mäßigen Fähigkeiten) in einer ansonsten rückständigen Welt. Sie selbst ist etwas zu toll, um glaubwürdig zu sein (neben ihren intellektuellen Qualitäten hätte sie nicht noch so irre gut mit dem Schwert sein müssen), die Welt in einigen Aspekten schwer zu glauben (die beschränkte Geographie wird später erklärt, die Ökonomie sollte vermutlich trotzdem nicht funktionieren, die totale Emanzipation unter widrigen Umständen wirkt unrealistisch), aber doch eigentlich sehr gut konstruiert, sodass die Probleme deutlich weiter im Detail liegen als bei vielen anderen, auch großen, Genrevertretern. Handlung und schreibe sind flüssig und dank der Rätsel-Quest mitziehend.

Franz Kafka - Das Schloß (Brod-Fassung, 1922/1926)
Die Bürokratiehorror-Parallelen zum "Prozeß" sind offensichtlich. Im Vergleich leidet das "Schloß" für mich aber deutlich darunter, dass man hier die Perspektive des "K." kaum teilen kann - er hat dubiose Hintergedanken und Pläne, die vorm Leser geheimgehalten werden, und verhält sich schon von Anfang an unnachvollziehbar bockig und aufbrausend, bevor die Bürokratie überhaupt ernsthaft auf ihn zurollt. Trotzdem oder gerade deshalb schade, dass es beim Fragment geblieben ist. Interessant zu lesen und mit herrlichen Abstrusitäten gespickt ist ja durchaus.

Terry Pratchett - The Dark Side of the Sun (1976)
Pratchetts Erstling, der im Space-Opera-Gewand einige Ideen (und überraschend viele Namen) der Scheibenwelt vorwegnimmt. Hatte ich vor Jahren schonmal auf Deutsch angefangen und wegen stark enttäuschter Handlungs- und Humorerwartung abgebrochen. Auch diesmal noch nicht fertig. Grundhandlung und expliziter Humor sind auch im Original nicht sonderlich berauschend. Wenn man aber auf den impliziten Humor durch die generelle Asimov- und Niven-Persiflage und die vielen kleinen Anspielungen auf den Rest der SF-Welt achtet, lohnt sich das Buch schon allein dafür.

Eric-Emmanuel Schmitt - Monsieur Ibrahim et les Fleurs du Coran (2001) und Milarepa (1997)
Erste französische Lektüren seit Jahren, bei Ibrahim mit Unterstützung der Reclam-Fußnoten, bei beiden mit viel Wörterbuchnutzung. Dabei ist die Sprache sehr verschieden, bei der Alltagsfabel Ibrahim modern, einfach konstruiert und mit viel Umgangssprache, bei Milarepa (Reinkarnations-Fabel mit minimaler Jetztzeit-Rahmenhandlung, Fokus auf tibetischem Mittelalter) altmodisch angehaucht mit viel mehr "großen Wörtern", aber auch sehr klar.
Inhaltlich hat mir "Ibrahim" viel besser gefallen, die Kombination aus lustigen Anekdoten und kleinen Lebensweisheiten hat ihren instantanen Klassikerstatus verdient. "Milarepa" hat dagegen zwar sprachlich schöne Stellen und einen netten Rhythmus von Humor und Tragik, bleibt aber zu abstrakt und konstruiert, um zu berühren, und teilt einem auch nicht viel mit, was man als Durchschnittslaie nicht eh schon über den Buddhismus weiß.

Weder gelesen noch im Geradelesestatus, nur gekauft und ins Regal gestellt: Robert Merle - Malevil, nach Ipsis Besprechung und mehrfachem Auftauchen in SF-Empfehlungslisten. Allerdings: in einem Anflug von Größenwahn habe ich auch hier das französische Original angeschafft. Ob und wann ich den Sprung von den zweistelligen Seitenzahlen der Schmitts zu diesem 600-Seiten-Brocken schaffe, bleibt abzuwarten... Wenn ja, wäre Vian wohl ein Kandidat für das nächste Projekt. ;)

VorherigeNächste

Zurück zu Literatur

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste