Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Ipsissimus
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Mo 27. Jan 2014, 11:23 - Beitrag #681

Das Buch beginnt als Selbstjustizdrama, wandelt sich dann aber, indem es sich u.a. Fragen nach dem Unterschied zwischen Rache und Vergeltung, der Verhältnismäßigkeit der Mittel oder des Anteils amerikanischer Außenpolitik am Zustandekommen von Terrorismus stellt, wobei ich nicht behaupten will, dass die Tiefe der Gedanken einem Habermas´schen Diskurs genügen würde^^ jedenfalls sehen die verbliebenen Söldner am Ende selbst ein, dass sie überlebter Teil einer vergangenen Welt sind, der keine Zukunft mehr beanspruchen kann. Sie sind nicht gewandelt zu Helden des Pazifismus, aber sie resignieren.

Ipsissimus
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Fr 31. Jan 2014, 16:40 - Beitrag #682

Toshimitsu Hasumi
Zen in der Kunst des Dichtens

O. W. Barth, Müchen, März 1994

Ein kleiner Band, in dem Hasumi versucht, westlichen Lesern und Leserinnen das Geheimnis von waka, renga und haiku, den drei klassischen japanischen Gedichtformen, nahezubringen. Nach einer kurzen, auf zwei Seiten abgehandelten Beschreibung der formalen Aspekte - es gibt im Grunde nur zwei: Silbenzahl und erlaubte Vokabeln - folgt die Darlegung der inhaltlichen Aspekte. Hier scheitert Hasumis Anliegen, wobei ich nicht ganz sicher bin, ob es an der Methode liegt oder daran, dass die Übersetzungen den Reiz der Originale nicht zu transportieren vermögen.

Die Methode läuft darauf hinaus, den Gehalt zweier Gedichte zu vergleichen. Hasumi stellt also zwei Gedichte nebeneinander oder untereinander, dann sagt er "Gedicht A ist besser als Gedicht B". Oder "Dichterin A ist ästhetisch anspruchsvoller als Dichter B". Oder "Dichter A ist tiefgründiger als Dichterin B". Oder "der Japaner empfindet das so und so". Oder "Alle Japaner lieben das." Es mag sein, dass derartige Wertungen sich anhand der Originale aufdrängen, in den deutschen Übersetzungen sind sie nicht nachzuvollziehen. Mir ist es jedenfalls an vielen Stellen passiert, dass mir ein Gedicht, das Hasumi abgewertet hat, ganz im Gegenteil besonders unter die Haut ging, das aufgewertete Gedicht aber als belanglos erschien.

Das Buch ist also als kleine Anthologie japanischer Lyrik ganz gut zu gebrauchen, hat aber m.E. als Theorie der Ästhetik und des Ausdrucksgehalts der japanischen Lyrik die Absicht des Autors verfehlt. Da sich Hasumi andererseits als hochgradig gebildet zeigt, frage ich mich, ob japanische Gedichttheorie wirklich derart verschieden von der europäischen ist.

Feuerkopf
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Sa 8. Feb 2014, 13:29 - Beitrag #683

Hier mal eine dezidierte Lese-Warnung:

"Meteor" von Dan Brown.

Das Buch ist einfach ärgerlich schlecht. Der Plot - die NASA findet in der Arktis einen Kometen mit "Inhalt" - ist sowas von hanebüchen und die Figuren holzschnittartig und unglaubwürdig. Außerdem wird ständig der "deus ex machina" bemüht.

Finger weg von dem Schrott!

Traitor
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Sa 8. Feb 2014, 13:39 - Beitrag #684

Da kann ich voll zustimmen, Feuerkopf. War damals mein zweiter Brown nach "Illuminati", dem vermutlich durchaus brauchbareren "Da Vinci Code" wollte ich danach nie mehr eine Chance geben.

Zitat von Traitor:Derzeit dann wieder Russen-Wächter, diesmal "des Tages". Alissa könnte sich als interessantere Erzählerin erweisen als Anton.
Wie kam ich nur auf die Idee, Lukianenko könnte plötzlich ein Gespür für weibliche Figuren, das über deren Sextauglichkeit hinausgeht, entwickelt haben? Völliges Debakel. Die Folgegeschichte über einen nur langsam seine Erinnerungen und Fähigkeiten wiederfindenden Dunklen ist dann aber deutlich brauchbarer.

Ipsissimus
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Mo 10. Feb 2014, 12:45 - Beitrag #685

Lukianenko könnte plötzlich ein Gespür für weibliche Figuren, das über deren Sextauglichkeit hinausgeht, entwickelt haben?
eine häufig zu findende Neigung junger russischer Schreiber im leichten Genre^^ wobei das kein Problem ist, junge russische Frauen sind eben so, nach Auffassung junger russischer Männer^^

Feuerkopf
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Mo 10. Feb 2014, 23:43 - Beitrag #686

Ich lese gerade einen britischen Krimi.

Bild

Dunkle Gebete von Sharon Bolton.


Habe ich durch Zufall gefunden und lese es mit wachsendem Vergnügen.
Erzählt wird die Geschichte von einer jungen Polizistin, die unfreiwillig zur Spezialistin im Falle eines Serienkillers wird, der Jack The Ripper imitiert.
Natürlich steckt viel mehr dahinter; nach und nach entwickelt sich die dramatische Vergangenheit der Frau, die auch ihr sonderbares Verhalten erklärt.

Traitor
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Sa 5. Apr 2014, 19:37 - Beitrag #687

Seit dem letzten Eintrag mal wieder erschreckend wenig:

Terry Pratchett & Stephen Baxter - The Long War Sehr schwache Fortsetzung von "The Long Earth". Aus der sehr spannenden Weltkonstruktionsausgangslage wird wenig Neues gemacht, zudem ist eine Handlung fast komplett abwesend. Eine Handvoll interessante Episoden, aber im Gesamtbild völlig missglückt.

Rosemary Kirstein - The Lost Steersman & The Language of Power Band 3 und 4 der Steuerfrauen-Serie, jetzt mit deutlich klareren SF-Anteilen dank fortschreitender Erkundung der interessanten Welt. Zumindest im sehr starken Band 3, im 4. geht dann der Erkundungsaspekt völlig verloren und trotz weiterhin gut gemachter Investigationsdarstellung passiert im Vergleich zu den Vorgängern einfach viel zu wenig. Qualitätseinstufung der Serie: 2 > 3 > 1 >> 4, würde ich sagen.

Graham Greene - Unser Mann In Havanna Herrlich sinnfreie Geheimdienst-Geschichte. Leider ist die Übersetzung, die mir in die Hände fiel, sprachlich so grauenvoll antiquiert, wie es das Original von 1958 wohl kaum sein kann. Über Greenes "brillante sprachliche Schärfe" (Klappentext) kann ich daher keine Aussage treffen.
Auch frage ich mich, ob die Verfilmung von 1960 zu Recht in Vergessenheit geraten ist, trotz prominenter Namen. Falls ja, wäre das doch was für ein Nachfolgeprojekt der "Rum Diaries"-Macher...

Ipsissimus
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Mo 14. Apr 2014, 13:17 - Beitrag #688

Brett McBean
Die Verdammten

Verlag Festa (6. März 2014)

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus ... also buchstäblich. Zumindest wenn es als "ausschlagen" gelten darf, wenn bis dahin noch gar nicht zu sehende Bäume innerhalb von ein paar Minuten Höhen von 50 bis 100 Meter erreichen und auf ihrem Weg nach oben keinerlei Unterschied machen, ob sich über ihnen eine Straße, ein Hochhaus, ein Parkdeck oder freier Himmel befindet. Außerdem sind es verdammt viele Bäume, und so hat sich Australien, wo das Ganze spielt, an einem mehr oder weniger schönen Nachmittag in einen üppigen Dschungel verwandelt. Also so ganz und gar, ohne freie Stellen dazwischen. Häuser, Städte, Straßen, Wüste, Atomkraftwerke, Abwässerkanäle ... alles futsch, dafür reine Luft pur zum Atmen und reines Wasser.

Eigentlich eine Idylle. Gut, die Kernkraftwerke und die Abwässerkanäle, aber die werden nicht thematisiert. Ansonsten: Paradies 2.0.

Allerdings, da war doch noch was. Ja stimmt, da war einmal der Mensch. Gut, ein paar haben die Apokalypse überlebt. Und wie das mit dem schönsten Paradies so ist, der Mensch schafft es, alles in eine Hölle zu verwandeln. Und so teilen sich die verbliebenen Reste nahezu unmittelbar auf in die Fraktion der wiedergeborenen Sklavenhändler, Kannibalen und Vergewaltiger einerseits und die Fraktion der aufrechten Helden, die versuchen, wenigstens noch Reste von Zivilisiertheit zu bewahren.

Fünf Jahre nach dem Reset ist die zivilisierte Fraktion mangels Masse nahezu vollständig vom Speiseplan verschwunden, Kannibalismus gilt als allgemein anerkannte Lebensphilosophie, bei der selbst die Sklaven nur noch bedauern, auf der falschen Seite der Machete zu stehen.

Dann kommt wieder so ein schöner Nachmittag und es macht "wusch". Das löst auf originelle Weise die akuten Probleme einer Handvoll versprengter Einzelpersonen, die sich noch nicht in den Verlust der Zivilisiertheit ergeben wollten, indem sie gleich wie alle anderen von einem riesigen Tsunami überspült werden.

Ende der Geschichte. Die Erde ist komplett von Meer bedeckt, aus dem nur noch die Kronen einiger weniger Baumriesen herausragen. Die Vögel, zumindest die Assfresser unter ihnen, freuen sich über den Teppich aus Leichen aller Art, der da auf dem Wasser treibt. Der Rest stirbt.

Paradies 3.0. Ein Oceanball im Universum. Hoffentlich begehen die Fische den Fehler nicht zweimal.

Ende.

Gründe für das Geschehene? Es werden angeboten:
- der größte anzunehmende Stinkfinger Gottes
- ein völlig aus dem Ruder gelaufenes Experiment mit Düngemitteln
- keine Ahnung und wir werden es nie wissen

Über den Tsunami kann aus naheliegenden Gründen nicht mehr diskutiert werden.

Es wäre ja ganz amüsant. So amüsant wie meine Besprechung (hoffentlich) ist, schreibt McBean aber nicht. Er erschöpft sich ziemlich schnell in der Schilderung immer ähnlicher Bösartigkeiten, die teilweise sehr drastisch dargestellt werden. Das Buch könnte als Vorlage für einen richtigen Splatterfilm dienen. Oh, Moment, tut es ja. Und richtig spannend schreibt er auch nicht, es bleibt alles im vorhersehbaren Rahmen.

blobbfish
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Mo 14. Apr 2014, 13:43 - Beitrag #689

Erinnert micht sehr stark an Waterworld, jedenfalls von der groben Konzeption. Was mich bei den Nahezu-Totalzerstörungen immer wundert ist einerseits der Ressourcenmangel - außer bei den Bösewichten - andererseits der 'Rückfall' in zutiefst barbarische Systeme. Ist aber vielleicht ein bisschen viel Arbeit für den Autor, sich den Prozessen ein bisschen differenzierter zu widmen; ein Zeitsprung ist halt auch ein einfaches Stilmittel.

Ipsissimus
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Mo 14. Apr 2014, 16:50 - Beitrag #690

genau so wirkt der Roman, blobb, der Autor hatte ein paar Ideen und dann hat er gemerkt, dass ihm die Bindeglieder fehlen. Von den Logiklücken ganz zu schweigen.

Lykurg
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Di 15. Apr 2014, 11:11 - Beitrag #691

Zuletzt, nachdem ich über ein halbes Jahr für Musils Mann ohne Eigenschaften gebraucht habe - mehr kontinuierliche Lesezeit als je zuvor für ein Buch, abgesehen von der Bibel; allerdings auch mit Unterbrechungen, in denen ich nichts oder nur Fachbücher las - ein wenig Entspannung:

Wolfgang Herrndorf: Tschick (2010)
Bildungsroman um einen jugendlichen Außenseiter, der einen Freund findet und mit ihm und durch ihn aus seinem kaputten Zuhause ausbricht. Sehr lesenswert, und zugleich leichte Kost bei allen Abgründen, die hinter den Rändern schlummern.

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (2009)
Reichlich schräge Geschichte mit erheblicher Ähnlichkeit zu Forrest Gump, allerdings geht es um einen alten Schweden, der bei weitem nicht so doof ist, dafür eine größere Nähe zu moralisch zwielichtigen Handlungen hat (kein Wunder, wenn man es persönlich mit Franco, Stalin, Berija, Mao und anderen zu tun bekommt...) Lustig.
(Übrigens erschien unlängst Jonassons zweiter Roman "Die Frau, die rechnen konnte", was in informierten Kreisen Hoffnung auf "Der Autor, der gern Relativsätze verwendete" machte.)


Und im Moment (zum dritten Male)
Kirill Yeskov: The Last Ringbearer
- eine Fortsetzung des Herrn der Ringe aus der Perspektive der Unterlegenen. In mancherlei Hinsicht deutlich besser als das Original. :-)

blobbfish
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Di 15. Apr 2014, 15:06 - Beitrag #692

Ina Seidel: Das Wunschkind (1930).

Ein Roman auf der Zeitscheide 1792 bis 1813. Unter Missbilligung des Vaters heiratet Cornelie, eine preussische Adlige, einen kurmainzischen katholisischen Offizier, ihr erstes Kind stirbt noch als Säugling kurz nach der Ankunft in Mainz, ihr Gatte wird einberufen in den Krieg gegen die franz. Revolutionstruppen und stirbt im Gefecht. Damit beginnt dann auch ihre Leidensgeschichte. Er hinterlässt seiner Frau ein ungeborenes Kind und eine greise Mutter. Während der Besatzung Mainz durch die Franzosen verheiratet sich Cornelies Schwester an einen franz. Offizier, im Belagerungsfeuer schließlich gebärt sie ihm ein Kind und verstirbt, Cornelie zieht die beide Kinder, Christoph, das ihrige, und Delphine, in Mainz groß und wird von ihrem Vater verstoßen. Aus dem unterschiedlichen Erbe der Kinder entsteht schon früh eine Differenz der Kinder, Delphine miemt dabei den Part der Zurückgezogenen und Unverstandenen, während Christoph der darunter Leidtragende ist, aber dennoch eine innige Bindung zu Delphine aufbaut. Im weiteren Verlauf des Buches gibt es reihenweise Einschnitte, immer dann, wenn die Welt u die Protagnisten ein wenig in Ordnung gebacht wurde, hauptsächlich in das Leben Cornelies, die aber auch auf Christoph durchschlagen. In Christophs Umgebung tauchen immer wieder Menschen für eine Weile auf und verschwinden alsbald wieder, mancheinmal erscheinen sie später wieder, in jedem Fall verschwinden sie aber endgültig aus dem Leben der Hauptfiguren (was nicht heißt, dass sie nicht auch doch noch im Roman auftauchen, aber sie hinterlassen nichts, mit ihnen findet keine Auseinandersetzung mehr statt).

Gefühlt zwei Drittel des Buches sind in Allgemeinplätzen geschrieben, die dann in konkreten Handlungen münden, wörtliche Rede gibt es kaum (dient meist als Einleitung in indirekte Rede und für Allgemeinplätze), dafür reichlich Konjunktiv. Viele Diskurse, die aber offen bleiben, vieles scheint einfach nur erzählt und so bleibe ich nach wie vor ziemlich ratlos zurück.

Traitor
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Di 22. Apr 2014, 23:13 - Beitrag #693

P.G. Wodehouse - Ring for Jeeves
In der bekannten schlechten Tradition meiner Omnibus-Ausgabe mal wieder querbeet durch die Erscheinungsjahre, diesmal eine mittelspäte Episode von 1953:
We are living now in what is known as the Welfare State, which means – broadly – that everybody is completely destitute.


Terry Pratchett - Strata
Wie "The Dark Side of the Sun" ein SF-Frühwerk. Diesmal eines, in dem sogar eine (nicht Die) Scheibenwelt auftaucht, aber aus SF-Perspektive, in einer Mischung aus Ringworld-Parodie (auch der Rest des Buches inklusive Partyzusammensetzung) und ernsthafter Auseinandersetzung. Ähnlich wie bei der "Dark Side" auch wieder ein Werk voller wirklich guter und interessanter Ideen, aber gehemmt durch einen noch wirklich schlechten Schreibstil. Mäßige Charakterisierung und holpernder Spannungsbogen sind ja noch halbwegs durch Ideen ausgleichbar. Aber viele Szenen, vor allem die actionlastigen, sind einfach schlamping geschrieben - zu wenig Etablierung der Umstände, wirre Sprünge, teils fragwürdige Grammatik. Trotzdem der Ideen wegen lesenswert, aber etwas anstrengend und ärgerlich.

Traitor
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Do 29. Mai 2014, 10:36 - Beitrag #694

Fertig:

Erich Kästner - Der kleine Grenzverkehr
Obskure kleine Geschichte über die Absurditäten eines Alteuropas voller Grenzkontrollen sowie die touristischen und amourösen Reize Salzburgs. Macht durchaus Lust auf eine Reise, zudem schön albern und gleichzeitig durch die Veröffentlichung 1938 mit einer Menge deutsch-österreichischer Bedeutung aufgeladen.

Terry Pratchett - The Carpet People
Die Abenteuer von Miniaturmenschen, deren ganze Welt ein einzelner Teppich ist. War "Strata" der Ideensteinbruch für die Scheibenwelt, ist es dieses Buch für die Bromeliad/Nomen-Trilogie. Im Gegensatz zu den beiden anderen Frühwerken profitierte es von einer späteren Überarbeitung, dadurch auf der Mikroebene sehr viel flüssiger und besser geschrieben, in Sachen Gesamthandlung und Figuren aber doch eher Fingerübung als wirklich etwas besonderes. Nett, mehr nicht.

Jack Vance - The Dying Earth Nach zwei Novelettes und dieser als Einstieg in seine bekannteste Welt dienenden Geschichtensammlung (1950) bin ich mir ziemlich sicher, dass
a) ich mich mit seinem Stil nie mehr anfreunden werde - im Gegensatz zu J.R.R. Tolkien oder E.R. Eddison wirkt seine Altertümelndheit nicht natürlich, sondern angeberisch-aufgesetzt, klassisches "Thesaurus gefressen" halt. Vielleicht ist Vances Fehler, kein R. als Mittelnamen zu haben... Vielleicht können Amerikaner das aber auch dank mangelndem historischem Hintergrundfeld einfach nicht.
b) seine Werke trotzdem das Lesen wert sind.
Bei dieser Fantasy, die nominell in ferner Zukunft angesiedelt ist und auch zumindest versucht, anzudeuten, dass all die Magie und obskuren Wesen "nur" Produkte fortschrittlicher und inzwischen wieder vergessener Technik sind, merkt man zwar die episodische und frühe Entstehung deutlich daran, dass die ersten paar Geschichten noch eher eine Qual sind (vor allem dank der völlig uninteressanten Figuren und ihrer nicht vermittelten Motive, sowie der weitgehenden Willkürlichkeit aller Umgebungsaspekte und Ereignisse), aber die letzten zwei (und zum Glück deutlich längeren) werden dann richtig faszinierend, da eben nicht mehr nur willkürliche Fantasy in einem Pseudo-Setting abgespult wird, sondern das Szenario wirklich genutzt wird. Eine davon nimmt nebenbei die Idee zweier vollkommen interaktionsfrei nebeneinander her lebender Bevölkerungen ein und derselben Stadt vorweg, die ich bei China Mievilles "The City and the City" (2009) eigentlich für uroriginell gehalten hatte.
Macht insgesamt durchaus Lust auf die verbleibenden 3 Langform-Werke des Sammelbands. Aber mit etwas Stilerholungspause...


Noch nicht fertig:

George MacDonald - The Princess and the Goblin
Im Gegensatz zur erwachsenen "Lilith" reine Kinderliteratur des 19. Jahrhunderts, liest sich aber überraschend modern, mit netter Darstellung der Goblins als diskriminierter und ghettoisierter sozialer Unterschicht.

Erich Maria Remarque - Im Westen nichts Neues
Remarqeuable! Warum zum Geier war das bei uns keine Schullektüre? Wunderbar lebendige und trotzdem fast immer elegante Sprache, starke Beobachtungsgabe, interessante Hintergrundgedanken. Wird seinem Status locker gerecht.

Feuerkopf
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Do 29. Mai 2014, 16:13 - Beitrag #695

Am letzten WE hatte ich die Gelegenheit, mal "Shades of Grey" quer zu lesen. Immerhin sollte frau ja wissen, was ihre Geschlechtsgenossinnen weltweit da in millionenfacher Auflage goutiert haben.
Das Buch ist öde. Nicht mal richtig schlecht geschrieben, aber eben öde. Einfach zusammenzufassen. Junge Frau lernt zufällig stinkreichen Kerl kennen, der superduper aussieht und der sie auch toll findet. Er macht ihr eine Art unmoralisches Angebot, nämlich die Unterzeichnung eines SM-Vertrags, nach dem sie für drei Jahre seine Sub sein soll, bei besten Bedingungen, versteht sich. Klar, dass er eine schwere Jugend hatte. Klar, dass er sich irgendwie in sie verliebt. Zudem wird SM zelebriert, so wie "man" sich das so gemeinhin vorstellt, also fern jeder Realität. ;)
Ich habe es irgendwann beiseite gelegt, weil eigentlich nichts passiert in dem Buch auf vielen, vielen Seiten. Fazit: Viel Lärm um nichts. Um ein unsexy Nichts. :contra:

blobbfish
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Do 29. Mai 2014, 17:22 - Beitrag #696

Vmtl. kann man noch rauslesen, dass Männer generell das Wurzel allen Übels, die letzten Idioten und so überflüssig wie die Eier eines Eunuchen sind, oder?

Derzeit:
Norman Davies - Vanished Kingdoms (The History of Half-Forgotten Europe)
Sachbuch. Dem Untertitel ließe sich entnehmen, dass der Autor möglicherweise Amerikaner sein könnte, da unter anderem so bekannte Königreiche wie (die) Burgund(e) oder Preussen oder das Westgotenreich behandelt werden, er ist aber Engländer. Man muss aber auch sagen, dass er da durchaus Dinge schreibt, die nicht in die Kategorie des Allgemeinwissens fallen. Der Schreibstil ist ganz angenehm, aber weniger witzig, als der Titel es vermuten lassen könnte.

E.M. Forster - A Room with a View
Die Einführung ist schon ziemlich abschreckend, obgleich sie auch irgendwo Appetit macht, so redet sie einerseits von den wahnwitzigen Italienreisen (der Engländer) um die vorletzte Jahrhundertwende, andererseits auch von deren Inspiration. Die Handlung beginnt in Florenz und nach zwei Seiten (auch ohne die Einführung zu kennen) ist ziemlich klar, was Forsers Standpunkt ist: Menschen sind dumm. Demgegenüner darf man annehmen, dass Forster sich natürlich am anderen Ende des Spektrums befindet. Seine Charaktere zerfallen in zwei Klassen: Die dummen und die klugen, dazwischen gibt es nichts. Die klugen haben natürlich einen entsprechend destruktiven Charakter und sehen im Grunde nur Iditioten um sich herum - typisch für diese klugen Menschen ist aber, dass sie eben nichts verändern, sondern nur lästern. Immerhin spiegelt sein Schreibstil aber wunderbar das wieder, was er beschreibt.

Samual Becket - En Attendant Godot
Angenehm wirr und witzig (und nachschlagelastig).

Lykurg
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Fr 30. Mai 2014, 10:15 - Beitrag #697

Spannende Lektüren ringsum! blobbfish, ich freue mich schon drauf! Traitor, das sehe ich ähnlich - ich habe Nichts neues auch erst lange nach der Schule gelesen und mich darüber gewundert, daß es nicht Unterrichtsgegenstand war; ein wirklich gutes und lohnendes Buch. Was man von deinem wohl nicht sagen kann, Feuerkopf^^ - ich frage mich ja ein bißchen, warum dessen Inhaltsleere und Sachferne von so vielen Leuten immer selbst festgestellt werden muß; ich verlasse mich in diesem Fall gern auf das Urteil anderer.
Nach "Tschick" nun auch

Wolfgang Herrndorf: Sand (2011)
Geschichte um einen Mann, der in Nordafrika mit schmerzendem Schädel und ohne Erinnerung, auch nicht an seinen Namen, aufwacht. Es beginnt ein mörderischer Krimi, denn die Vergangenheit, die er einzuholen versucht und die vielmehr ihn einholt, hat es in sich. Spannend und hervorragend geschrieben, erweckt das Buch die Wüste zum Leben in ihrer grausamen Schönheit, zudem ein verschachteltes Rätselspiel. Ich brauchte einige Zeit, um hinein- und um wieder hinauszufinden.

Alice Walker: The Color Purple (1982)
Bewegender Briefroman, der das Leben schwarzer Frauen in Georgia im frühen 20. Jh. darstellt. Unglaublich eindrucksvoll, wie der Text sprachlich und inhaltlich die Entwicklung der Hauptfigur greifbar macht. Harter Stoff natürlich, die Brutalität der Gesellschaft gegenüber den Schwarzen, noch mehr aber die der Männer gegenüber den Frauen wird schonungslos gezeigt und als Selbstverständlichkeit hingenommen. Erst sehr langsam findet sich eine Perspektive und ein Ausweg.

August Heinrich Julius Lafontaine: Leben und Thaten des Freiherrn Quinctius Heymeran von Flaming (1795/96)
Lafontaine, seinerzeit extrem erfolgreicher Verfasser empfindsam-bürgerlicher Romane und Theaterstücke, ist heute praktisch komplett vergessen. Zu Unrecht, scheint mir: Sein "Flaming" zeigt ihn als angenehm zu lesenden, vergnüglichen, aber auch weitsichtigen Autor, der Appetit auf mehr macht. Es geht darin um einen jungen Adligen, der gewissermaßen alles glaubt, was er liest, und allmählich ein geschlossenes Weltbild entwickelt, das krude und in seinem Kern extrem rassistisch ist. Angesichts seiner eigentlichen Gutherzigkeit verliert er nie vollständig die Sympathie seiner tugendhaften bürgerlichen Freunde, die alles Mögliche versuchen, um ihn aus seinen Irrtümern zu lösen und zurück zum aufklärerischen Toleranzideal zu führen. Bei einigen Äußerungen des Quinctius überläuft einem allerdings das Gruseln, etwa, wenn er sich verteidigt, seine rassistisch-eugenetischen Ansichten seien letztlich harmlos, denn sie würden ja niemals allgemeines Gesetz werden...

blobbfish
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Fr 30. Mai 2014, 12:15 - Beitrag #698

Zitat von Ihro Gnaden Don Lykurgo:Bei einigen Äußerungen des Quinctius überläuft einem allerdings das Gruseln, etwa, wenn er sich verteidigt, seine rassistisch-eugenetischen Ansichten seien letztlich harmlos, denn sie würden ja niemals allgemeines Gesetz werden...


In den 1790er war die politische Lage auch noch deutlich anders, insbesondere, was Machtgebilde angeht. Nationalismus und Vaterland waren ja auch mehr oder weniger noch Fremdworte und systematisches Aufbegehren schwer möglich und die damit einhergehende Notwendigkeit der Unterdrückung zum Erhalt des status quo auch nicht nötig.

Im Westen nichts Neues war bei uns auch keine Schullektüre, habe vor Ewigkeiten allerdings mal eine ziemlich gute Verfilmung im Fernsehen gesehen.

Lykurg
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Fr 30. Mai 2014, 13:59 - Beitrag #699

In Teilen gebe ich dir recht - "Vaterland" gab es schon, das meinte aber eher den Geburtsort, die Provinz oder wai; Nationen fingen ja gerade erst an, sich zu bilden. Aber was meinst du mit "Unterdrückung zum Erhalt des status quo"? Denn nationales Aufbegehren wurde eigentlich nur einmal mehr oder weniger gezielt unterdrückt, im Zeitraum zwischen 1830 und 1850 (die Göttinger Sieben zählen quasi zu den Opfern), ansonsten war es meist eher im Interesse eines Zentralstaats, quasi ein Ventil zum Druckabbau und harmlos angesichts der Gelder, die sonst irgendwo versickern.

blobbfish
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Fr 30. Mai 2014, 21:38 - Beitrag #700

Eben, bei "Vaterland" hätte ich dazuschreiben sollen, dass ich damit die heutige Begriffskonzeption meine (meine aber, das mit dem "mehr oder weniger" angedeutet zu haben). Was du zum Vormärz schreibst, meine ich auch, das ist sicher die Hauptzeit, größere Zensur gab es auch vorher, quasi eine Art Prävention. Die Zensur im großen Stil hat Napoleon mitgebracht.

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