Näglein mit Knöpfen machen...

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Lykurg
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Fr 7. Sep 2007, 01:44 - Beitrag #1

Näglein mit Knöpfen machen...

Im Moment beschäftigt mich ein Gedicht von Jean II. von Bourbon, überliefert in der reizvollen Komposition des ziemlich unbekannten Kleinmeisters Loyset Compère (1440-1518). Der Text, ein Frühlingsliedchen, besteht aus zweieinhalb Strophen; vermutlich soll in der komponierten Fassung die erste als Refrain nach der kurzen zweiten und der langen dritten Strophe angefügt werden.
Faisons boutons, le beau temps est venu
ce moys de may qui belles fleurs apporte
l'ordonnera, ouvres moy donc la porte
du beau jardin que j'avoye retenu.

En ce pays je m'en suis revenu
A cette fin qu'aucunque vous me deporte.
_____ Faisons boutons...

Vostre plaisir sera dru et menu
C'est la chose ou plus que me conforte
S'il vous plaist dont vous tendres la main forte
Que bien soyé de vous entretenu.
_____ Faisons boutons...
Die Silbenzahlen passen meistens, aber nicht immer, von Strophe zu Strophe aufeinander, was beim Versuch, die Noten anständig zu setzen, gewisse Schwierigkeiten bereitet, besonders im zweiten Vers. Man kann sich aber recht gut an der Vielzahl von Assonanzen im Text orientieren. Zur besseren Nachvollziehbarkeit habe ich im Folgenden untereinandergehörige Silben mit derselben Farbe gekennzeichnet.
1. Faisons boutons, le beau temps est venu
2. En ce pays je m'en suis revenu
3. Vostre plaisir sera dru et menu

1. ce moys de may qui belles fleurs apporte
2. A cette fin qu'aucunque vous me deporte
3. C'est la chose ou plus que me conforte

1. l'ordonnera, ouvres moy donc la porte
3. S'il vous plaist dont vous tendres la main forte

1 du beau jardin que j'avoye retenu
3 Que bien sode vous entretenu
Besonders willkommen sind Kritiken dieser Silbengewichtung sowie Übersetzungsnotizen oder Weiterdichtungen. ;)

janw
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Fr 7. Sep 2007, 02:02 - Beitrag #2

Kannst Du etwas zum Kontext des Gedichtes sagen? Mir scheint es sich um eine lyrische Verbindung der Rückkehr des Frühlings mit der Rückkehr des Königs (lyrisches Ich) aus einer Gefangenschaft, Entführung o.ä. zu handeln. Ob das für das Volk auch so gut zusammen passte? ;)

Lykurg
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Fr 7. Sep 2007, 02:50 - Beitrag #3

Kein König, ein Herzog - die Bourbonen waren damals noch lange nicht an der Macht. Er tat sich gegen Ende des Hundertjährigen Krieges hervor, es könnte also tatsächlich die Befreiung Frankreichs von den Engländern hineinspielen. Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen.

janw
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So 9. Sep 2007, 02:05 - Beitrag #4

Du trennst auch in den Worten "pays" und "chose" Silben, wo doch aber diese Worte im frz. keine Lautsilben besitzen. Wirkt sich das irgendwie hinsichtlich Deines Problems aus?

Dann hörte ich heute eine historisch aufführungspraktizierte Intonation von "Greensleeves", das ja auch mehrere Strophen besitzt. Dabei fiel mir auf, daß die erste Strophe streng der bekannten Melodieführung folgte, welche in den weiteren Strophen stärker variiert wurde.
Vielleicht ist die Reimstruktur darauf hin nicht so streng ausgelegt, wie wir dies heute kennen. Kann das sein?

Traitor
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So 9. Sep 2007, 03:10 - Beitrag #5

Pays wird bereits standardsprachlich mit zwei Silben gesprochen (pä-i), bei chose kann man es auch machen (ich glaube, das ist dann südfranzösisch, aber wie es im Mittelalter aussah, dazu weiß ich nichts). Allerdings würde ich bei apporte, deporte, conforte die letzte Silbe weglassen - die hat aber aufgrund ihrer Zeilenendständigkeit wohl keinen tieferen Einfluss auf die sonstige Struktur.

Lykurg
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So 9. Sep 2007, 10:32 - Beitrag #6

Traitor, eigentlich hätte ich auch porte und forte schreiben müssen, hier wie bei den entsprechenden apporte-etc.-Stellen ist die Silbentrennung durch die Melodie eindeutig festgelegt. Das größte Problem ist der zweite Vers der zweiten Strophe - meine Lösung, "cette" fast zu einer Silbe zusammenzuziehen, erscheint mir als geringstes Übel, da es in zwei Stimmen einen Ton weniger als Silben gibt und die Betonung eingehalten werden sollte. Die mittelalterliche Aussprache wäre natürlich extrem interessant.

janw, wie war es besetzt, rein instrumental oder mit Gesang? Unter Angabe eines Komponisten? - Du hast insofern recht, als man zu allen Zeiten, wenn der Text nicht genau paßt, Zwischentöne einfügen kann bzw. Teilungen ändern. Derartiges passiert praktisch von selbst. Für stärkere Änderungen fehlt mir die Grundlage...

janw
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So 9. Sep 2007, 12:11 - Beitrag #7

Gut, bei "pa-i" gibts natürlich eine Trennung, hatte ich übersehen.

Hinsichtlich der MA Aussprache wäre es wohl wichtig zu wissen, woher in Frankreich der Verfasser kam, da es dort grob gesprochen zwei große Regionaldialekte gab. Wie die Trennung um 1400 aussah, wäre mal zu ergründen.

Lykurg, das Stück wurde rein instrumental aufgeführt, mit Gambe und Laute.
im Programm wurde es interessanter Weise als "anonym" angegeben - wobei mW zumindest der Text von Heinrich VIII. stammt. Erst hat er die abgemurkst, die ihn liebten, dann hat die, die er liebte, ihn discourteously offgecastet...


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