Simone de Beauvoir - Tous les hommes sont mortels

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 24. Mär 2009, 17:54 - Beitrag #1

Spendieren wir mal einen eigenen Thread - ehemals "Welches Buch lest ihr gerade?" - Traitor

Simone de Beauvoir, Tous les hommes sont mortels

in meiner Jugend und frühen Adoleszenz das Buch, welches mich neben La nausée wohl am stärksten und nachhaltigsten beschäftigt und wohl auch beeinflusst hat. Es war einfach mal wieder fällig^^

Regine ist ein Star im Paris des frühen bis mittleren 20sten Jahrhunderts, spielt große Theaterrollen und strebt danach, auch im Fernsehen präsent zu werden. Sie ist intrigant, eifersüchtig und kleinlich, dabei von einer großen Leidenschaft erfüllt, dem Wunsch, einzigartig zu sein. Eines Tages fällt ihr Fosca auf, ein merkwürdig weltabgewandter Mann anscheinend besten Alters, den nichts und niemand zu interessieren scheint. Sie beschließt, ihn für das Leben zurückzugewinnen, was für sie nur ein weiteres Spiel ist, das sie gedenkt, zu beenden im Augenblick ihres Triumphes. Fosca erweist sich als Unsterblicher, der schon die schönsten und überragendsten Frauen geliebt hat, und der unumgänglichen Wiederholung der Geschichten des Lebens längst überdrüssig ist, aber er kann nicht sterben. Er kann noch nicht einmal mehr schlafen, denn leidet unter dem Albtraum einer menschenleeren Erde, auf der nur noch er und die Maus leben. Er erzählt Regine auf ihr Drängen hin die Geschichte seines Lebens, und Regine erkennt, was sie in seinen Augen und angesichts der Ewigkeit ist: ein bedeutungsloser Grashalm unter Grashalmen, eine Geschichte unter Myriaden von Geschichten, alle gleich belanglos in ihrer ewigen Wiederholung. Dies verkraftet sie nicht und bricht zusammen. In ihrem Wunsch nach Einzigartigkeit erkennt sie nicht, dass gerade ihre Sterblichkeit ihr den Wert verschafft, den Fosca für sich selbst nicht mehr beanspruchen kann.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Di 24. Mär 2009, 18:09 - Beitrag #2

Das hab ich auch vor ein paar Jahren gelesen, wusste gar nicht mehr so genau, wer Regine war, ich kann mich eigentlich nur noch an Fosca und seine Geschichte erinnern, und eben, dass er sie einer jungen Frau erzählt. Schon blöd, alleine unsterblich zu sein ^^ Und dann auch noch unumkehrbar... allerdings gibt es vielleicht Hoffnung, denn
- entweder eine überirdische Macht wurde durch den Trank aktiviert, die ihn unsterblich macht - die erlischt vielleicht oder überlegt es sich anders
- oder der Trank war Menschen gemacht, was unwahrscheinlich ist, da er iirc auf verschiedene Arten versuchte, sich umzubringen - dann könnte die Forschung ihm helfen, ihn entweder von seiner Unsterblichkeit zu befreien oder aber auch andere unsterblich machen, sodass er nicht mehr alleine ist.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Di 24. Mär 2009, 21:26 - Beitrag #3

faszinierend...

es sei denn, es handelte sich beim Verleihenden um eine überirdische Macht, die sich selbst wegdefiniert, einen gestorbenen Gott. Wird die Unsterblichkeit im Roman begründet?

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Di 24. Mär 2009, 21:42 - Beitrag #4

Soweit ich mich erinnere, was es eben ein Trank, den Fosca bei der Belagerung seiner Heimatstadt Florenz (?) einnahm. Unsterblichkeitswasser oder Trank des ewigen Lebens, irgendsoetwas.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 25. Mär 2009, 11:41 - Beitrag #5

Raimondo Fosca, wurde im 13. Jahrhundert in der fiktiven norditalienischen Fürstenstadt Carmona geboren und zu Machtbewußtsein und Zielstrebigkeit erzogen. Während militärischer Konflikte um die Unabhängigkeit seiner Heimatstadt mit Florenz und Genua bietet ihm ein alter Mann einen Unsterblichkeitstrank an, den dieser von seinem Vater erhalten hatte und der von seinem Vater, der ihn aus Ägypten mitgebracht hatte (und den einzunehmen Großvater, Vater und er selbst sich fürchteten); der weitere Ursprung sowie die Wirkungsweise des Trankes bleiben im Dunkeln. Fosca testet den Trank an einer Maus, der er nach Einflößung des Tranks den Hals umdreht. Sie erwacht nach ein paar Augenblicken wieder, völlig unversehrt und unsterblich. Darauf trinkt Fosca den Trank, gegen das Flehen seiner Frau, die instinktiv erfasst, dass Fosca damit auf immer verflucht ist, was er aber zunächst nicht einsieht.

Der von nun an unsterbliche Fosca kann seine Macht weiter ausbauen, wird jedoch nicht glücklich, da er Schritt um Schritt bemerkt, dass seine Unsterblichkeit einem Fluch gleichkommt: Seine Frauen und Kinder sterben, nur er muss immer weiter leben. Er verlässt Italien und schlüpft nun fortwährend in immer neue Rollen, lebt ein Leben nach dem anderen: Als Berater von Kaiser Karl V., wo er noch hofft, ein Paradies auf Erden zu schaffen, als Fremder in einem Indianerstamm, als adliger Sadist im absolutistischen Frankreich, als Revolutionär zur Zeit der französischen Revolution.

Da er jedoch als stetes Muster alle Mitmenschen um sich herum verliert und der Wert seiner eigenen Beiträge zu deren Lebensleistung ihm angesichts des Konfliktes zwischen seiner eigenen Zeitlosigkeit und deren schnell vorübergehenden Zeit zunehmend suspekt und bedeutungslos wird, beschließt er Mitte des 19. Jahrhunderts, einfach in einem Wald einzuschlafen; er schläft 60 Jahre und verbringt anschließend, nachdem er dort gefunden wurde, noch mal 30 Jahre in einem Irrenhaus, bevor er im Paris der dreißiger Jahre Regine kennen lernt, die er nach kurzer Affäre wieder verlässt, da sie für ihn nur eine weitere Wiederholung der Geschichte von Liebe und Verlust darstellt.

"Und was ist mit mir", fragte sie, den Atem anhaltend.
"Ja, Sie," antwortete er. "Das geht vorüber."
Er hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als sie anfing zu schreien.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Di 15. Sep 2009, 17:42 - Beitrag #6

Um nochmal darauf zurückzukommen: Entweder der Trank ist natürlichen Ursprungs, dann wird es auch einen Trick geben, entweder Fosca umzubringen oder andere nach seinem Beispiel unsterblich zu machen. Er sollte sich also der modernen Wissenschaft zu Experimenten zur Verfügung stellen (Fosca + Atombombe = ?).

ODER irgendeine geheime Macht steckt dahinter. Dann sollte er sich natürlich bemühen, alle Legenden zu sammeln, die auf eine solche Macht hindeuten, oder alternativ alle ihm bekannten oder auch nicht bekannten Götter anflehen, diese Gabe zurückzunehmen.

Vielleicht ist es aber auch wie bei "Täglich grüßt das Murmeltier" und er muss erst irgendeine bedeutende Aufgabe erfüllen, bevor er altern und sterben kann... dann muss er die suchen :D

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 16. Sep 2009, 14:48 - Beitrag #7

ich glaube, der Beauvoir ging es nicht wirklich um Unsterblichkeit. Sie zielt meines Erachtens darauf ab, dass gerade der Umstand der Endlichkeit der einem Menschen zur Verfügung stehenden Zeit den einzigartigen Wert eines Menschen begründet, da Menschen in der Lage sind, aus freien Stücken diese Zeit im Dienst für andere Menschen oder eine für wert befundene Sache zur Verfügung zu stellen.

Aus meiner Sicht eine arg idealistische Sicht der Dinge^^

Fosca hat zwei große Fehler gemacht. Zum einen, er ist im Herzen immer der kleingeistige Katholik geblieben, dessen Weltsicht am Zeitgeist des Mittelalters sich herausbildete. Die Annahme eines Fluchs und der metaphysische Schrecken vor Unsterblichkeit wurden damals in ihm verankert, und er ist nie darüber weg gekommen bzw hat es nie angestrebt.

Zum anderen, der Trank beweist, dass Unsterblichkeit möglich ist auf der Erde. Für die Annahme einer Gottheit oder gottähnlichen Wesenheit bietet das Buch keinerlei Hinweis; also gab es im alten Ägypten Leute, die wussten, wie Menschen unsterblich werden. Fosca war historisch am nächsten dran. Anstatt nach Ägypten zu reisen, sich das Geheimnis zu beschaffen und andere seinesgleichen zu schaffen, bleibt er allein. Eine kleine Gruppe schon, vielleicht 20 Personen, und seine Qualen wären niemals aufgetreten.

Wenn er klug ist, geht sein Weg über die Wissenschaft weiter^^

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Mi 16. Sep 2009, 15:04 - Beitrag #8

Volle Zustimmung ^^ Auch zu deiner Meinung bezüglich Beauvoirs Interpretation, aber wer als Autor eine fiktive Welt schafft, muss damit leben (hust hust... Redewendung), dass die Implikationen dieser Welt weitergedacht werden. Mein erster Gedanke wäre auch der, nach Afrika zu reisen und nach der Quelle dieses Tranks zu suchen (oder nach anderen Unsterblichen, er wird ja nicht der einzige dumme sein, der... könnte es ja mit Aktenzeichen XY versuchen).

Ich seh schon, wir sind uns einig ^^


Zurück zu Literatur

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste