Altgriechische Namen auf -us und -os

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Traitor
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Di 24. Jul 2012, 22:20 - Beitrag #1

Altgriechische Namen auf -us und -os

Beim Lesen der Ilias- und Odyssee-Verwurstung in Tad Williams' Otherland 3 fiel mir auf, dass dort fast alle Helden konsequent auf -us geschrieben werden, und auch ansonsten latinisiert (z.B. k-->c): Odysseus, Menelaus, Patroclus, Peleus. Im Deutschen dagegen habe ich als üblich die bunte Mischung Odysseus, Menelaos, Patrokolos, Peleus im Kopf. Alle Beispiele in beiden Sprachen sind so auch in enWP bzw. deWP die jeweilige Hauptvariante. Wenn man darüberhinaus den in beiden WP angegebenen griechischen Originalschreibweisen Glauben schenkt, ist die deutsche Tradition korrekt - Odysseus und Peleus endeten tatsächlich auf upsilon sigma, die anderen auf omikron sigma.

Fragen, die sich daraus ergeben:
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  • Gibt es einen klar nachvollziehbaren Unterschied in den Tradierungslinien, der erklärt, dass im Englischen die latinisierten Versionen beliebter sind?
  • Sind originalgriechisches -os und -us so klar verschieden, wie man bei Transkription denkt, oder lag die Aussprache beider Varianten irgendwo dazwischen, sodass es eher willkürliche Varianten des gleichen Ursuffixes wären?
  • Sind Unterschiede zwischen mykenischem und klassischem Altgriechisch hier relevant?


  • Irritiert hat mich dann noch http://de.wikipedia.org/wiki/Achilleus als angebliche Hauptvariante, der angegebenen Schreibweise nach auch korrekt, aber da ist im Deutschen doch eigentlich ganz eindeutig Achilles etablierter, sogar das archaische Achill noch eher als Achilleus, oder trügt mich hier mein Empfinden?

    Maglor
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    Di 24. Jul 2012, 22:29 - Beitrag #2

    Bei aller Unwissenheit:
    Im Griechischen gibt es bei männlichen Vornamen sowohl die Endung -es als auch -eus. -eus ist jedoch ungleich dem lateinischen -us der o-Deklination.
    Den Odysseus nennt der Lateiner übrigens Ulixes. ;)

    Als ziemlich deutsch empfinde ich solche Formen ohne Personalendung wie Achill statt Achilles, Tantal statt Tantalos oder Iphigenie anstatt Iphigenia. So ersparte sich manch altvorderer deutsche Dichter das durchdeklinieren in der alten Sprache.

    Traitor
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    Di 24. Jul 2012, 22:36 - Beitrag #3

    Hm, wer wäre ein klassisches Beispiel für -es?

    Warum ist Iphigenie für dich endungsloser als Iphigenia? "Korrekt" schiene übrigens Iphigeneia zu sein.

    Tantal kenne ich nur als Metall, ist das als Namensrelevante zu Tantalos verbreitet? (Edit: Schade, Google Ngram hat für beides keine Einträge vor 1802, nicht hilfreich.)

    Ein weiteres Motiv für die Endungsamputation könnte in einigen Fällen auch erleichterte Versmaß-Einhaltung für die Übersetzer gewesen sein - wenn z.B. Ferse auf deutsch eine Silbe mehr haben sollte als auf griechisch, böte es sich sehr an, dem Achilles das -es bzw. -eus zu klauen. ;) (Vermutlich ein ungeeignetes Beispiel, aber die Idee sollte klar sein.)

    Edit2: "Ulixes", stimmt, ist mir auch schonmal begegnet. Sehr barbarisch. Macht die Frage noch komplizierter - anscheinend sind im Englischen viele -os zu -us geworden, aber komplette Latinisierung dann offensichtlich nicht. Ach ja, Ulysses hätten wir dann natürlich noch...

    Lykurg
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    Mi 25. Jul 2012, 00:45 - Beitrag #4

    Ja, im englischen Sprachraum wird latinisiert, auch bei Ortsnamen mit teilweise mir unverständlichen Veränderungen (griechisch/deutsch Rhodos -> lateinisch Rhodus -> englisch Rhodes). Das betrifft neben der männlichen Endung -os -> -us auch die Ersetzung k -> c, etwa Leukippos -> Leucippus, wie von Traitor genannt.

    Unverändert bleiben aber die auf -es endenden Namen, etwa Sokrates (naja: Socrates halt), Archimedes und Thales. Dabei handelt es sich um ein Eta, im Gegensatz zum Epsilon bei Achilleus, Peleus, Odysseus und anderen Ypsilonendern.
    Eine relative Ausnahme scheint hier Ganymedes zu sein (englisch Ganymede, ältere deutsche Dichtung Ganymed). Fies aber auch Aristoteles -> Aristotle.

    Die Entfernung der Endsilbe ist typisch deutsch, ja, kommt aber vereinzelt auch im Englischen vor, dann lustigerweise bei Namen, die im Deutschen wohl kaum so verkürzt würden: Priamos, König von Troja -> Priam, King of Troy.

    Und nun mit etwas mehr System:^^
    1. mir nicht bekannt
    2. sicher ist es irgendwo dasselbe Ursuffix über die Verwandschaft der beiden Sprachen - aber es ist schon in der Aussprache unterschieden, sonst wäre eine säuberliche Unterscheidung der zwei Schreibweisen nicht so konsequent zu erwarten..
    3. Höchstens am Rande - die -eus-Endung scheint sich in der protogriechischen Übergangszeit etabliert zu haben (Basileus) - aber eher nein, denke ich.

    Traitor
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    Mi 25. Jul 2012, 09:16 - Beitrag #5

    Stimmt, die ganzen Philosophen gibt es auf -es, dazu fiel mir gestern abend noch Perikles ein. Die sind aber alle aus klassischer Zeit. Aus homerischer bin ich als -es-Beispiel jetzt noch auf Diomedes gekommen, der so auch im englischen blieb. Aristotle und andere -le sind wohl die übelsten Degenerationen im Englischen, da können sie sich auch nicht mit Latein rechtfertigen.

    Ganymed würde ich nicht nur "älterer Dichtung" zuschreiben, mag aber auch daran liegen, dass er für mich in erster Linie ein Mond ist, da immer ohne -es.

    Nochmal einen Schritt zurück - gibt es -us bzw -upsilon-es überhaupt einzeln, oder nur -eus (-epsilon-upsilon-es)? Und wird letzteres immer mit Diphtong ausgesprochen, oder auch getrennt? Von Odysseus ist man ja Diphtong gewohnt und auch sonst im Griechischen wird der ja gerne hergenommen, die IPA- und Griechisch-Schreibweisen in Wikipedia mit Akzenten auf dem u/upsilon scheinen aber eher auf Trennung hinzudeuten.

    Stimmt, Priam irritierte mich bei Williams auch schon.

    Zu 1.) hatte ich an soetwas wie engere Beziehungen Deutschlands mit Byzanz gedacht, oder stärkere Bindung englischer Kultur an lateinische Kloster versus engerer Griechenland-Direktrückbezug in der deutschen Renaissance. Stilbildend für die heute "amtlichen" Schreibweisen dürften aber vermutlich eher Übersetzer im 17. bis 19. Jahrhundert gewesen sein, da vorher die Ortographie der germanischen Sprachen selbst noch viel zu sehr im Fluss war...?

    Mykenisch scheint -os schon so gehabt zu haben, aber noch -eu statt -eus, was schon sehr viel weniger urverwandt klingt.

    Lykurg
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    Mi 25. Jul 2012, 10:44 - Beitrag #6

    Stimmt schon, bei Ganymed ist die Wahrnehmung da anders, unter den Schönlingen wären außerdem Narziß und vielleicht auch Hyazinth zu nennen; literarische Vermittlung hier aber jedenfalls nicht unbeteiligt an der Durchsetzung der apokopierten Form.

    -us einzeln kenne ich nicht. Du hast recht damit, daß es sich bei -eus nicht um einen Diphthong handelt, das ist nur deutsche Aussprachegewohnheit. Das Ypsilon ist übrigens kein U, was immer deutlich wird, wenn es allein steht (siehe Odysseus), für /u/ schreibt Altgriechisch wie Neugriechisch omikron ypsilon (z.B. Μοῦσα -> Muse).
    Die neugriechische Aussprache des Ypsilon ist übrigens /i/, was ganz prima ist, weil die ngr. Aussprache des Eta ebenfalls /i/ ist, was dazu führt, daß man drei i-Schreibweisen zur Auswahl hat (vier, wenn man ει, ebenfalls ngr. /i/, mitzählt). Man könnte von gedankenloser Verschwendung der Reichtümer der Vergangenheit, ja sogar von Korruption sprechen, aber das gehört wohl nicht hierher.

    1 ist meines Erachtens in der Sache richtig, daran dachte ich auch, aber ob das der maßgebliche Grund ist, weiß ich nicht.
    Die Rezeption griechischer Texte in D lief sehr schleppend an, bis weit ins 18. Jahrhundert ging es etwa im schulischen Griechischunterricht ausschließlich um das Verstehen des Neuen Testaments (habe mich neulich mit alten Lehrplänen befaßt). Die allgemeine Homerkenntnis vor Voss ist ziemlich gering, die Gebildeten wissen meist, was drinsteht, ohne ihn gelesen zu haben. Deutsche Nachdichtungen gab es seit dem Mittelalter, dafür ist aber dann auch die lateinische Vermittlung wichtig.

    MIt deutscher Orthographie hat das aber meines Erachtens nicht so viel zu tun, weil die deutsche Transkription der griechischen Namen sich nicht so sehr geändert hat (abgesehen von den wilden Verballhornungen in mittelalterlicher Epik, versteht sich, die offensichtlich nur nach dem Gehör erfolgten). So gesehen waren dann die Übersetzer maßgeblich, ja; inklusive der Verkürzungstendenzen, die bei literarischen Namen meines Erachtens stärker auftreten als bei Philosophen - was für eine rein metrische Begründung spräche.

    Ah, da fällt mir noch eine Verkürzung ein: Von Dionysios zu Dionys, dem Tyrannen Schlich.

    Mykenisch hatte auch statt -os noch -o, z.B. Knossos ko-no-so, also genauso urverwandt.

    Traitor
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    Mi 25. Jul 2012, 12:50 - Beitrag #7

    Auch bei Ganymed könnte Goethe literarisch das -es dauerhaft getötet haben.

    Odysse-us klingt schon sehr fremd, andererseits fand ich auch Peleus mit Diphtong spontan ziemlich unschön.
    Was ist das Alt-Ypsilon denn dann, wenn man korrekt sein will? Odysse-üs?

    Wie war es vor dem 18. mit Aristoteles und Co, wurden die nur auf Latein gelesen?

    Die Hälfte von Troja ist ja eh nur in Zusammenfassungstexten und mittel- bis spätantiken Neudichtungen überliefert, da fällt es ja nicht sonderlich auf, wenn einem auch für Homer Zusammenfassungen reichen. (Gilt leider auch für mich. ;))

    Hast du ein paar schöne Beispiele für Verballhornungen zur Hand?

    Hm, mykenisches -os meinte ich heute morgen auf deWP mehrfach gefunden zu haben, gerade komme ich nur noch auf
    (myk. da-mo /dāmos/ ‚Gemeinde’ : gr. δήμος 'Volk'; myk. a-ta-na /Atānā/ 'Athene' : gr. Ἀθήνη)

    und wo da das s herkommt, ist mir nicht klar.

    Ipsissimus
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    Mi 25. Jul 2012, 13:37 - Beitrag #8

    Odysse-üs?


    Odysseus
    episch griechisch Ὀδυσσεύς
    attisch griechisch Ὀλυττεύς
    korinthisch griechisch Ὀλισ(
    σ)εύς
    dorisch griechisch Ούλιξεύς
    lateinisch Ulyssēs, Ulixēs
    etruskisch Uthuce


    wir haben laut Wikipedia die freie Auswahl^^ interessant finde ich vor allen die dorische Variante, die wohl den Übergang zur römischen Bezeichnung vorbereitet, aber noch den abgesetzten Doppellaut am Ende bestehend lässt.

    Traitor
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    Mi 25. Jul 2012, 16:48 - Beitrag #9

    Die Endung, um die es mir ging, ist doch in allen griechischen Varianten gleich?
    Die Schwankungen weiter vorne sind aber durchaus spannend, dorisch ist sicher am nächsten am Latein, am absonderlichsten erscheint mir aber das attische Olytteus.

    janw
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    Mi 25. Jul 2012, 19:12 - Beitrag #10

    Wenn ich es richtig verstehe, handelt es sich nicht nur um verschiedene Dialektausprägungen, diese sind vielmehr zudem zu verschiedenen Zeiten entstanden.
    Die dorische Variante könnte damit eine allgemeine Verschiebung von d zu l repräsentieren, die Römer hätten dann das für sie ungewohnte [eus] zu [es] "abgeflacht".

    Maglor
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    Mi 25. Jul 2012, 22:48 - Beitrag #11

    Zitat von Traitor:Stilbildend für die heute "amtlichen" Schreibweisen dürften aber vermutlich eher Übersetzer im 17. bis 19. Jahrhundert gewesen sein, da vorher die Ortographie der germanischen Sprachen selbst noch viel zu sehr im Fluss war...?

    Gustav Schwabs Nacherzählungen der griechischen Sagen dürfte die größte Breitenwirkung im deutschen Sprachraum gehabt. Allerdings benutzt er konsequent die griechischen Formen und nennt selbst Herakles mit seinem unpopulären griechischen Namen.

    Ipsissimus
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    Di 21. Aug 2012, 16:42 - Beitrag #12

    Zeus ist auch ganz interessant^^ ich habe ihn jahrzehntelang, in Analogie zum "Odüssois", als "Zois" ausgesprochen. Die Originalschreibweise Ζεύς verweist aber im Prinzip auf die klassische Aussprache, also ungefähr dze-u̯s die demzufolge auch für uns die richtige sein müsste

    Maglor
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    Mi 30. Dez 2015, 22:45 - Beitrag #13

    Ich bin ganz zufällig darüber gespolpert, aber die alten Grimms bevorzugten nicht nur nur Kleinschreibung, sondern auch den lateinischen Namen des Odysseus. Es kann aber auch sein, dass er einfach nur direkt Tacitus zitiert.
    Zitat von Grimm: Deutsche Mythologie:ich bin nur unschlüssig wie das wort genau zu schreiben und auszulegen sei; ahd. ôrentil führt auf ags. eárendel und beide forderten dann altn. aurvendill, eyrvendill; geht man aber von altn. örvendill aus, so schiene ags. earendel, ahd. erentil vorzuziehen. ... Sollte die sage von Orentils irfahrten so alt bei uns sein, daß in Orentil und Eigil von Trier jener Ulysses und Laertes zu suchen wäre, den Tacitus an unsern Rhein setzt?

    Zumindest die Frage der Grimms lässt sich seit der Entdeckung alter Handschriften (Rotes Buch u.a.) sicher beantworten. Die Sage von Orentil ist noch älter als Tacitus oder Homers Schriften. Das Wort geht auf quenya Earendil zurück. :crazy:


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