Wmig:
Zitat von Traitor:Mir aufgrund einschlägiger Empfehlungen als nächste Leseprojekte mal "Ender" und einen Arjouni bestellen.
Zitat von Lykurg:Welchen?
Zitat von Traitor:"Chez Max", das Genre liegt mir näher als Ethnokrimis.
Wblig:
Zitat von Lykurg:Jakob Arjouni: Chez Max (2006)
Dystopie, angesiedelt im Jahr 2064 - und wie bereits 1984 und im Jahre 632 nach Ford ist eigentlich alles in wunderschöner Ordnung. Der Welt, will sagen, Europa, China und Nordamerika geht es prima, wenn auch der arme Onkel USA als Agrarstaat mit massiven Subventionen am Leben gehalten werden muß. Die Bevölkerung ist zufrieden und lebt in Respekt gegenüber den Sicherheitsbehörden, die es an Unterhaltung nicht fehlen lassen, hey, es gibt sogar Sky TV und neuerdings kann man in Paris einen künstlichen Regenbogen bewundern! Daß es ein paar Terroranschläge gegeben hat, auch eine kleine schmutzige Atombombenexplosion in einem Vorort von Moskau, soll niemanden beunruhigen, da wurden auch gleich wieder Kasachen angesiedelt, paßt ja, steckten wohl eh Kasachen dahinter. Die Sicherheitskräfte operieren mit allen gebotenen Mitteln weltweit und sorgen dafür, daß sowas nicht wieder vorkommt. Aber über solche Sachen spricht man besser nicht, geschweige denn über den Zaun oder die Länder dahinter...
Wie die meisten Romane von Arjouni bitterböse und mit spitzer Feder geschildert, die Hauptfigur sein typischer Beinaheversager: Max ist Agent der Ashcroft-Behörde, im Zivilberuf Wirt, der seine große Chance wittert, der Gesellschaft (und nebenbei sich) einen Dienst zu erweisen, hochmoralisch, versteht sich.
Zitat von Traitor:Jakob Arjouni - Chez Max
Ganz nette Dystopie-Geschichte mit einigen lustigen und/oder fiesen Ideen, aber unsauber verortet irgendwo zwischen Karikatur und ernstgemeinter Subversion und mit eklatanten Mängeln:
- Während die großen Dystopien zwar auch stets klare Agenden verfolgten, aber dabei auch Interesse für ihre in sich geschlossenen Welten wecken, wirkt Arjounis Werk wie reine Illustration politischer Meinungen.
- Damit verbunden wirkt die grenzenlos naive Regimetreue des Erzählers (zu dem siehe auch unten, aber auch implizit der meisten Nebenfiguren) einfach unglaubwürdig.
- Die Tagesaktualität der Anlässe vieler extrapolierter Details schreit einen geradezu an, manches wäre vielleicht besser in einer Zeitungskolumne als einem Roman aufgehoben gewesen.
- Die Innenperspektive des Erzählers ist aufgrund dessen mäßig kohärenter Gedankengänge ziemlich nervig.
- Wenn ein Ich-Erzähler Exposition über Welthintergründe machen soll, braucht es dafür eine metatextuelle Rechtfertigung (Chronikschreiber, Brief für die Nachwelt...), sonst ist es jedes Mal ein Bruch.
Immerhin (trotz Max) flüssig zu lesen, und es wird deutlich besser, als es sich auf die Konfrontation mit Chen zuspitzt. Zwischenmenschliches liegt Ajourni wohl besser als die großen Zusammenhänge, vielleicht sollte ich also nochmal einem seiner geerdeteren Bücher eine Chance geben.
Es waren übrigens Kaukasen, nicht Kasachen.