Hermann Hesse

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Traitor
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So 5. Aug 2012, 17:47 - Beitrag #61

Die neue Spiegel-Titelgeschichte: "Hermann Hesse - Der Störenfried. Sinnsucher, Dichter, Anarchist."
http://www.spiegel.de/spiegel/

Ob man das lesen will...?

e-noon
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Do 30. Aug 2012, 13:18 - Beitrag #62

Alle Achtung, da stoße ich ja nun recht spät zu einer so vielfältigen und reichen Diskussion über Hesse, dass ich bereits etwa fünf Zitate geplant habe, wo ich doch nur eines im Zwischenspeicher lagern kann.

Hier also das erste:
Zitat von Maglor:Hesse scheint irgendwie eine besondere Vorliebe für moralischen Kitsch zu besitzen.

Bisher habe ich, in dieser Reihenfolge, Siddharta, Demian, die Morgendlandfahrer und das Glasperlenspiel gelesen und kann uneingeschränkt zustimmen. Dieser "moralische Kitsch" (ein treffender Begriff) findet sich in jedem der Werke, sein Oberthema, das Ringen um Weiterentwicklung der Persönlichkeit in Harmonie mit oder auch quälender Dissonanz mit dem Universum und der Gesellschaft ist ja in sich bereits sehr moralisch. In der Wiederholung (und diese findet sich sowohl im Vergleich der Werke, als auch innerhalb eines Werkes und, wie ich später noch ausführen möchte, innerhalb eines Satzes) und dem deutlich zu spürenden leidenschaftlichen Mitfühlen des Autors (keineswegs nur Erzählers, denke ich) mit seinen Grundsätzen liegt dann schon ein solch pathetischer Überschwang, dass man gerne von Kitsch reden kann. Nicht ohne Grund wurde an mehreren Stellen dieses Threads bereits ausgeführt, dass das Alter der größten Hesseempfänglichkeit in der Regel von 13-18 liegt, was sich dann wohl eher auf Demian, Narziß oder Siddharta bezieht/bezog, während das Glasperlenspiel doch noch mal mehr theoretische Grundlagen liefert, als jugendlicher Überschwang (oder ein leicht hessemüder Leser) sich wünschen würde.

Gestern haben wir nun das Glasperlenspiel im Lesekreis besprochen, und ich möchte zunächst einen Aspekt hinzufügen, der, wenn ich das richtig gesehen habe, hier im Thread noch weitgehend fehlt. Erklärend möchte ich vorausschicken, dass drei der Lesekreismitglieder ausgesprochen ge-gendert sind, es handelt sich dabei um eine Medienwissenschaftlerin, eine Sprachwissenschaftlerin und einen Mitarbeiter des Schwulen-und-Lesben-Referats (oder so) der Uni Köln. Somit kam bald die Feststellung auf, dass Frauen in Hesses Werk grotesk unterrepräsentiert sind, dass die einzige einigermaßen bedeutsame Frauenfigur, an die wir uns erinnern konnten (und mit unseren verschiedenen Vorbildungen bekamen wir immerhin die Werke Siddharta, Demian, Morgendlandfahrer, Narziß, Unterm Rad, Steppenwolf und eben das Glasperlenspiel zusammen), Frau Eva in Demian war, die ihrerseits das genaue Gegenteil von "Geist" repräsentiert und im Grunde, wie bereits gesagt wurde, mehr ein Prinzip als eine Persönlichkeit darstellt und wesentlich als Mutter ihres Sohnes auftritt, wie natürlich auch Frau Designori im Glasperlenspiel. Ich möchte mich, wobei ich einen gedanklichen Sprung wage, dem man folgen mag oder auch nicht, daher Ipsis These anschließen: Vielleicht hätte mehr Sex geholfen.

Im Anschluss haben wir zudem Erotik diskutiert]Hesse, Knecht und/oder die Schreiber legen ja Wert darauf, zu betonen, dass das eben keine Senilität sei. Wo genau die Trennlinie liegen soll, ist aber schwer zu erkennen.[/QUOTE]
Ich denke, dass hier wie im Siddhartha sich das bereits beginnende Nirvana in einem überirdisch strahlenden Lächeln zeigt. Dieses Lächeln ist zweifellos ein wiederholtes Motiv in Hesse und verweist auf die zweifelhafte Lösung, die Hesse für den Konflikt zwischen ständiger Veränderung und Identität gefunden hat, nämlich das Hingeben des Ichs an den stetigen Moment im permanenten Dahinfließen der Welt; mit wachsender Hingabe an das Nirvana, den inneren Frieden, stirbt notwendig das Interesse an den konkreten Auswüchsen der Gegenwart, erlöschen die eigenen, unbedeutenden Begierden, sodass man letztlich psychisch dem Tod schon näher ist als dem Leben. Dies als den idealen Zustand hinzustellen ist Hesses gewagte These, die meines Erachtens im Siddhartha, das einen weit persönlicheren Protagonisten hat als die Idealfigur Josef Knecht, für den Leser nachvollziehbarer ist als im Glasperlenspiel.

Das Glasperlenspiel selbst, wie es im gleichnamigen Buch beschrieben oder eben nicht beschrieben wird, hat mich sehr enttäuscht. Letztlich handelt es sich um einen Traum, dem Hesse nicht gewachsen war, noch nicht einmal in der Phantasie; es gibt keine Erklärung dazu, wie genau Musik und Mathematik nicht willkürlich, sondern sinnerzeugend auf eine gemeinsame Formel gebracht werden können. Da ist ihm die Beschreibung in sich viel unerklärlicherer Zustände, wie beispielsweise des Nirvanas, deutlich besser gelungen. Für mich wurde aus der Beschreibung nicht ersichtlich, wie dieses Spiel einen so zentralen Stellenwert und eine derart große Bewunderung von Seiten des Ordens und sogar einiger weltlicher Kenner haben kann. Da musste man als Leser schon einiges selbst leisten, und ich hatte das Gefühl, dass ein heutiger Musikwissenschaftler- und Mathematiker das besser hinbekommen hätte (und damit meine ich nicht nur exakter, sondern mitreißender, denn die Idee ist ja durchaus anregend).

Zuguterletzt möchte ich noch auf die Sprache zu sprechen kommen... diese hat mich leider im Glasperlenspiel extrem gestört. Im Gegensatz zu anderen Lesekreismitgliedern, die in der ständigen Doppelung oder gar Reihung von Satzelementen ein geruhsames, entspannend dahinplätscherndes Fortschreiben sahen, hat es in mir nur Ungeduld und Langeweile ausgelöst. Ich schlage eine beliebige Seite auf und verweise auf die Scheu, wie "Zurückgezogene und Alleinlebende sie manchmal an sich haben", Designori, "der dem Gegenspieler auffiel und ihn anzog", ein "hübscher, feuriger und beredter Jüngling", Kastalien "samt allen seinen Gesetzen, Traditionen und Idealen", eine "Schmach und Strafe" für den "Büßer und Mönch", mit "noch knabenhaftem und schauspielerischem" Eifer, seine "weltlichen Auffassungen und Normen" etc.

Der schlimmste Satz geht einher mit der störenden Idealisierung von Knecht, der ja wirklich alles, von der Musik über den Dienst und die Lehre und den Umgang mit Freunden und dem Glasperlenspiel, instinktiv richtig macht, gleichzeitig dabei eine Unschuld bewahrend, die jedes Kalkül und Machtstreben kategorisch ausschließt, sodass schließlich die oberste Behörde ihn unwissend zu Pater Jacobus schicken muss, um nur ja den lauteren, reinen Geist Knechts nicht mit einem strategischen Kalkül zu beschmutzen. Hier also mein persönlicher Satzalbtraum:

"Josef Knecht hat auf die wunderlichste, eigensinnigste Weise sich seiner Studierfreiheit bedient, auf eine verblüffende, jugendlich geniale Weise."

Aus Zeitgründen muss ich nun mit diesem negativen Aspekt abschließen, es bleiben aber ohne Zweifel noch genügend interessante Aspekte am Hesse'schen Werk offen, deren Diskussion man sich beizeiten widmen kann.

Ipsissimus
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Do 30. Aug 2012, 17:50 - Beitrag #63

Hermine wäre auf jeden Fall noch zu nennen, sie ist im Steppenwolf die große Seelenverwandte Harrys und ist in diesem Roman m.E. um einiges bedeutsamer als Eva im Demian, selbst noch in ihrer erotisierten Form als Maria. Das ist eine der wenigen Stellen, bei der es im Hesseschen Werk direkte Schilderungen von Sex gibt.

Goldmund wird letztendlich von der Ehefrau des Fürsten besiegt. Sie ist zwar nicht als Einzelpesönlichkeit wichtig, aber als sein letztendliches Schicksal, weil er anhand ihrer Reaktion auf seine zweite Annäherung erkennt, dass er seine Magie verloren hat.



sehr schöne Darlegung, e-noon^^

Maglor
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Do 30. Aug 2012, 19:19 - Beitrag #64

Frauen in Hesses Werken:
Fast alle größeren Frauenfiguren bei Hesse sind Huren oder Mütter.
Archetypische Mütterfiguren finden sich in Form der Großen Mutter Maria -wohl eher eine Wahngestalt Goldmunds - und der Frau Eva im Demian - deren physische Existenz ebenfalls zweifelhaft ist. Beide Muttergestalten werden gleichzeitig erotisch assoziiert.
Zur den Huren muss man ganz klar Kamala rechnen. Wie sonst sollte man das Wort Kurtisane verstehen? Ob Hermine noch Hostess oder schon Prostituierte ist, bleibt unklar.
Eine interessante Vorstufe bildet das leichte Mädchen Emma in Unterm Rad. Ähnlich würde ich auch die zahllosen Gespielinnen und flüchtige Geliebte Goldmunds einordnen.
Im Glasperlenspiel spielen Frauen keine Rolle. Das Matriarchat im Regenmacher-Lebenslauf ist durchaus ein Steinzeit-Topos im 20. Jahrhundert und wohl keine Spezialität Hesses. Lediglich im Indischen Lebenslauf spielen Frauen eine wesentliche Rolle, wobei auch hier wieder das untreue Weib auftaucht, wohl eine jener Randfiguren, die sich in Hesses Werken vor allem durch ihr Fehlen wirken, vgl. Goldmunds "Große Mutter" oder des Steppenwolfes Ehefrau oder dessen ferne Geliebte.
Davon ab tauchen bei Hesse gelegentlich weibliche Doppelgänger auf. Am offensichtlichsten ist dies bei der Frau Eva, deren auch optische Ähnlichkeit mit Demian und Sinclair eine wesentliche Rolle. Hermine gilt ebenfalls als androgyner Zwilling des Protagonisten. Siddharta und Kamala gelten ebenfalls Gegenstücke.

Da ich statt Intertextualität Intersexualität gelesen haben, möchte ich nur anmerken, dass dies gerade im Demian und in Narziss und Goldmund eine große Rolle spielt. Vor allem Demian wird auch als weiblich beschrieben und dessen letztes Kuss mit Sinclair gilt letztlich als Kuss zwischen Sinclair und Frau Eva. Auffällig ist auch das Bildnis von Johannes dem Täufer, der in Goldmunds Phantasie zur Imagination der Großen Mutter und des Narziss wird. Dass Goldmund von Mädchen und Narziss von Knaben träumt, wähnte ich ja bereits.
An Tegularius konnte ich jedoch der gleichen erkennen.
Dass Hermine im Steppenwolf Frauenkleider trägt und an Harry Haller an dessen Jugendfreund Hermann erinnert, deutete ich schon.

In Unterm Rad empfindet der Internatsschüler Giebenrath zumindest im Traum Eifersucht auf den "Schatz" seiner Schulfreundes Heilner. Aber wenn man nur ein bisschenzwischen den Zeilen liest:
Zitat von ":Beide frühreife Knaben kosteten in ihrer Freundschaft mit ahnungsloser Scheu etwas von den zarten Geheimnissen einer ersten Liebe unwissend voraus. Dazu hatte ihr Bündnis den derben Reiz der reifenden Männlichkeit und als ebenso herbe Würze das Trotzgefühl gegen die Gesamtheit der Kameraden, denen Heilner unliebsam und Hans unverständlich blieb und deren zahlreiche Freundschaften alle noch harmlose Knabenspielereien waren.

Traitor
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Do 30. Aug 2012, 22:45 - Beitrag #65

dass die einzige einigermaßen bedeutsame Frauenfigur, an die wir uns erinnern konnten [...], Frau Eva in Demian war
Die große Liebe des indischen Lebenslaufes ist relativ bedeutsam, aber erst recht nur Figur, kein Charakter. (Siehe auch Maglor.)

[...]dass Erotik in Hesses Werk so gut wie nicht vorkommt. Am ehesten ist sie noch zu finden in Tegularius (womit wir doch einen androgynen Charakter im Glasperlenspiel hätten, wie ich behaupten möchte
Dafür hätte ich gerne eine Begründung. Ja, Tegularius ist eine obskure Form eines halbromantischen Interessenobjektes für Knecht. Aber androgyn ist er für mich absolut nicht, er trägt stark autistische Züge und Autismus wird oft als übersteigerte Form von Männlichkeit interpretiert. In einem anderen Setting wäre Tegularius vermutlich Klischee-Ingenieur.

Tatsächlich habe ich in dem ersten Lebenslauf des Regenmachers thematisch nichts gefunden, das nicht auch im Glasperlenspiel vorgekommen wäre.
Danke, das habe ich genauso empfunden.

der seine Tochter ganz selbstverständlich dem Hansel, der ihm hinterher läuft, in die Ehe gibt. Mehr als Hausfrau und Gebärerin scheint diese Tochter, der der neue Regenmacher sich nur widmet, wenn es ihm gerade einmal nicht gut geht, dann auch nicht zu sein.
Ja, als literarische Figur eine ziemliche Katastrophe.

Ähnliches lässt sich daher auch für das Glasperlenspiel vermuten, dessen abruptes Ende ich ebenfalls als Hesse-typische Lösung werte, indem der auf den Tod vorbereitete Meister seinem Schützling zielsicher das einzige vermittelt, was dieser braucht, um selbst größe zu erreichen.
Ganz so einfach ist es nicht. Im Gegensatz zum Regenmacher ist es beim Kastalien-Knecht nicht eindeutig klar, dass er "auf den Tod vorbereitet" ist. Eigentlich hatte er noch große Pläne. Siehe dazu die Diskussion mit Padreic.

Zitat von Ipsissimus
Hesse, Knecht und/oder die Schreiber legen ja Wert darauf, zu betonen, dass das eben keine Senilität sei. Wo genau die Trennlinie liegen soll, ist aber schwer zu erkennen.
Das Zitat ist von mir! Böse e-noon. :tadel:

Für mich wurde aus der Beschreibung nicht ersichtlich, wie dieses Spiel einen so zentralen Stellenwert und eine derart große Bewunderung von Seiten des Ordens und sogar einiger weltlicher Kenner haben kann.
Dass Hesse die Funktionsweise des Spiels nicht ordentlich beschrieben hat und dazu wohl auch von seinem Bildungsstand her nicht in der Lage war, sehe ich genauso. Dass das aber für die Anerkennung seiner innerweltlichen Relevanz nötig gewesen wäre, nicht. Das Glasperlenspiel ist halt ein Gedankenspiel - gäbe es ein solches System, wie würde sich die geistige Welt darum neu ordnen? Und faltet man die zu Hesses Zeit noch deutlich höhere Wertschätzung der Einzeldisziplinen Klassische Musik und Wissenschaft miteinander, kommt man leicht zu einer sehr hohen Bewunderung durch das weltliche Bildungsbürgertum. Die zu Knechts Zeit aber natürlich schon stark bröckelt, was ja eines der Hauptthemen ist.

[..]der störenden Idealisierung von Knecht, der ja wirklich alles [..] instinktiv richtig macht [...]
Knecht ist gerade dadurch interessant, dass zwar alles von dir gesagte zutrifft, er also ein ziemliches Ideal ist, aber selbt er, als Idealer in einer idealen Welt, noch am Mehr-Wollen und am Gegensatz zwischen Ich und Welt scheitert.

Ipsissimus
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Fr 31. Aug 2012, 11:36 - Beitrag #66

Fast alle größeren Frauenfiguren bei Hesse sind Huren oder Mütter.
der Madonnen/Huren-Komplex, die erotische Sehnsucht vieler Männer nach Frauen, die rein und unbefleckt (welche Vorstellung sich hinter diesen Begrifflichkeiten im Detail auch immer verbergen mag) sein mögen wie die Mutter Gottes, aber über das erotische Können einer Edelprostituierten verfügen, ohne allerdings dem Mann zu vermitteln, wie langweilig er im Bett wirklich ist, ist bei weitem nicht auf Hesse begrenzt und geht auch nicht auf diesen zurück - ganze Kulturen können als Ausprägung dieser psychischen Fehlleistung aufgefasst werden, nicht nur der italienische Mama-Kult.

Traitor
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Fr 31. Aug 2012, 11:56 - Beitrag #67

Die von mir selbst losgetretene Offtopic-Diskussion findet sich jetzt unter dem von Ipsi gelieferten Stichwort hier.

Zur Überpräsenz des Komplexes in Hesses Gesamtwerk kann ich mangels Kenntnis nicht viel sagen, allein von Glasperlenspiel und "Unterm Rad" her ist er noch nicht auffällig.

e-noon, wieso hast du eigentlich dermaßen viel Hesse gelesen, wenn du ihn nicht gerade magst? Gut, du deutest bereits an, dass vieles davon nur Übersättigungseffekt ist. Aber deutete der sich nicht schon früh genug an?

e-noon
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Fr 31. Aug 2012, 12:16 - Beitrag #68

Zitat von Ipsissimus:sehr schöne Darlegung, e-noon^^

Danke ^^

Für einen Madonnen/Hurenkult ist mir das Schema bei Hesse doch nicht wirkmächtig genug, wobei ich leider offenbar die einschlägigeren Werke zu dem Thema noch nicht gelesen habe. Kamala ist für Siddhartha ja nicht die Erfüllung eines lange gehegten oder unterdrückten Wunsches, sondern ein halb desinteressiertes, halb trotziges Ausprobieren der (Kinder-)Menschenwelt] der einzige, für welchen [Knechts] Abberufung auf ungewisse Zeit ein so tiefer, beinahe unerträglicher Schmerz und Verlust war."


Witzig übrigens:
"Die Fähigkeit, andere und namentlich Jüngere anzuziehen und mehr oder weniger zu beeinflussen, wäre für einen Offizier oder Politiker von Wert gewesen, aber hier in Kastalien war dafür kein Ort, hier waren diese Fähigkeiten eigentlich nur dem Lehrer und Erzieher dienlich, und gerade zu diesen Tätigkeiten fühlte Knecht wenig Lust in sich." (116)


Edit:
Zitat von Traitor:e-noon, wieso hast du eigentlich dermaßen viel Hesse gelesen, wenn du ihn nicht gerade magst? Gut, du deutest bereits an, dass vieles davon nur Übersättigungseffekt ist. Aber deutete der sich nicht schon früh genug an?

Ich fand eigentlich die ersten drei Bücher, also Siddhartha, Demian und die Morgenlandfahrer recht nett, ich habe sie auch noch während der Schulzeit gelesen und das war vielleicht wirklich noch das geeignete Alter dafür, zumal ich da noch nicht andere (mitunter bessere) Bücher kannte, die ich mittlerweile gelesen habe. Zudem, und dieser Aspekt ist vielleicht der wichtigere, kamen in den ersten drei Werken die Grundthemen des hesseschen Werkes immer noch mit einer Individualisierung, einer Geschichte und Persönlichkeit zum Tragen, bei Siddhartha etwas weniger, aber auch noch, bei Demian/Sinclair und den Morgenlandfahrern schon eher. Die Geschichten waren auch einfach in sich geschlossener, interessanter und nicht mit diesen ständigen Doppelungen versehen, die mich in diesem Werk jetzt doch sehr genervt haben. Auch hatte ich das Gefühl, dass, wie schon gesagt, im Glasperlenspiel alles nochmal aufgeführt wurde, was an theoretischem und nicht-lebendigem in den anderen Werken gesagt wurde, kurz, es war eine so didaktische Aufbereitung seiner bisherigen Ideen ohne Einbettung in eine wirklich thematisch neue Geschichte, dass mir die anderen Werke eher rückwirkend und in der Erinnerung verleidet wurden, als dass sie damals tatsächlich schon nervig gewesen wären.

Traitor
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Fr 31. Aug 2012, 14:21 - Beitrag #69

"Die Fähigkeit, andere und namentlich Jüngere anzuziehen und mehr oder weniger zu beeinflussen, wäre für einen Offizier oder Politiker von Wert gewesen, aber hier in Kastalien war dafür kein Ort, hier waren diese Fähigkeiten eigentlich nur dem Lehrer und Erzieher dienlich, und gerade zu diesen Tätigkeiten fühlte Knecht wenig Lust in sich." (116)
Seite 116 ist aber noch recht früh, also bevor er das Erziehen eben doch als seine eigentliche Leidenschaft entdeckt. Aber auch von seiner persönlichen Entwicklung abgesehen ist die Aussage ziemlich falsch, denn im inneren Zirkel der Jungglasperlenspieler-Elite ist Anziehen eines Gefolges doch auch mit der wichtigste Karrieremechanismus.

Ähnliche Eindrücke, dass das Glasperlenspiel sich innerlich widerspricht, hatte ich auch mehrmals. Teile davon kann man durch die ausgelagerte Erzählerperspektive erklären, insgesamt scheint Hesse aber während des Schreibens doch auch ein paar Mal seine eigenen Ansichten geändert und dann schon Geschriebenes nicht hinreichend nachgebessert zu haben.

Deine Wertung des Glasperlenspiels gegenüber dem Rest könnte man vielleicht auch umdrehen - es enthält alles Wesentliche, was Hesse zu sagen hatte, und die anderen Werke schmücken das nur mit Seifenopernelementen aus. Also kann ich mir, nachdem ich das Spiel zuerst (genauer als 2.) gelesen haben, den Rest sparen. ;)

e-noon
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Fr 31. Aug 2012, 16:25 - Beitrag #70

Bezüglich der Widersprüche stimme ich dir zu ;)

Ansonsten... eher nicht. Das Glasperlenspiel ist der große Wurf, alle Thesen werden in Detailverliebtheit ausgearbeitet, aber eben wirklich bearbeitet, nicht mit Leben erfüllt. Wenn dich primär interessiert, was Hesse sachlich gesehen an Unsicherheiten, Kompensationen, Lebensentwürfen, Idealen, Weltsichten und Einsichten in die menschliche Psyche in sich trug, ist das Glasperlenspiel möglicherweise - sicher bin ich mir da keineswegs - am besten geeignet.
Wenn du aber die Konzepte nicht nur theoretisch aufgearbeitet sehen willst - was sich in meinen Augen nicht lohnt, denn so phantastisch, innovativ und geschickt sind sie nicht - sondern sie mit Leben gefüllt und einer guten Geschichte versehen lesen willst, sind meines Erachtens eher die anderen Werke geeignet. ;)

Padreic
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Fr 31. Aug 2012, 19:42 - Beitrag #71

Meine Erinnerungen an die Details des Regenmacherlebenslaufs sind eher verschwommen, ein wenig ist es doch schon her. Was mich daran fasziniert hat, war aber die Darstellung der primitiven Geisteshaltung, der primitiven Art von prä-Wissenschaftlichkeit insbesondere.

Das Glasperlenspiel hat mir gut gefallen und ich frage mich bei e-noons Kommentaren natürlich ein wenig, warum, aber korrigiere meinen Eindruck sicherlich nicht.

Zuerst zur Sprache: Die Gespreiztheit des Tons finde ich dem Werk durchaus zuträglich. Erstens wird ja die Perspektive eines Gelehrten, eines kastalischen Biographen eingenommen - sowohl virtuose Sprachbeherrschung als auch hemingwaysche Reduktion würden diese Perspektive durchbrechen. Den gewählten Ausdruck finde ich der Perspektive dagegen sehr angemessen. Bezüglich der Perspektivenhaftigkeit will ich nebenbei auch an ein Diktum Thomas Manns erinnern:
Ist es nötig zu sagen, dass der Steppenwolf ein Romanwerk ist, das an experimenteller Gewagtheit dem ‚Ulysses‘, den ‚Faux Monnayeurs‘ nicht nachsteht?
Gerade auch in der wenig romanhaften Sprache finde ich bekräftigt, wie ungewöhnlich das Werk, das man in den Händen hält, eigentlich ist. Nicht nur die Form mit Lebensläufen und Gedichten -- diese Handhabung einer Uto- (oder Dysto)pie, der Weltenbau in einer gänzlichen anderen Weise als alle Science-Fiction hat mich gereizt und fasziniert. Die fehlende Lebendigkeit erhöhte für mich die Fremdheit und somit den Reiz.

Die Beschreibung der Genese des Glasperlenspiels ist naiv und verhunzt, keine Frage. Ich habe auch großes Zweifel, ob ein Glasperlenspiel überhaupt möglich ist. Trotzdem fand ich, dass ästhetischer Reiz aus Hesses Beschreibungen eines Glasperlenspiels strahlte, ähnlich, wenn vielleicht auch in geringerem Maße, wie bei Thomas Manns Beschreibung der Musik Leverkühns im Doktor Faustus. Das Glasperlenspiel ist der Inbegriff der Harmonie alles Wissens und damit die Quintessenz und Krönung des ganzen kastalischen Harmoniestrebens.

Das Fehlen von Innovation, von Neuschöpfungen kann auch mit eben jenem totalen Harmoniebedürfnis einhergehen. Der Prozess der Schöpfung, Schritte ins Unbekannte erfordern meist, erstmal aus der Harmonie herauszutreten, auch wenn das vollendete Werk voller Harmonie sein mag.
An dieser Stelle möchte auch nochmal betonen, dass bei Hesse natürlich Kastalien insgesamt nicht schlecht wegkommt, es aber keineswegs als ein absolutes Ideal dargestellt wird; sonst müsste Knecht es ja auch nicht transzendieren. Auch wenn Hesse bestimmte Aspekte doch deutlich als positiv herausstellt, bleibt dem Leser gerade durch die perspektivische Gebrochenheit doch letztlich, sich seine eigene Meinung zu bilden.

e-noon
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Fr 31. Aug 2012, 20:03 - Beitrag #72

Es ist merkwürdig, ich finde zwar, dass du mit allem, was du sagst, Recht hast, aber dadurch bessert sich mein Eindruck des Glasperlenspiels nicht. In welchem Alter hast du es denn gelesen?

Deine Rechtfertigung des Sprachstils überzeugt mich eher nicht. Natürlich ist es ein Merkmal von Authentizität, die Sprache dem Erzähler anzupassen, aber es gibt keinen inhärenten Grund dazu, dass der Erzähler nicht ein etwas virtuoserer Sprachbeherrscher sein könnte. Anderen Autoren ist es gelungen, ungewöhnlichen Erzählern (Kindern, Verrückten, Verbrechern...) eine ungewöhnliche, charakteristische, aber dadurch auch interessante und wenn auch manchmal störende, so doch zumindest nicht langweilige Erzählweise zu verleihen. Auch in Kastalien wird ja immerhin Latein unterrichtet und werden diverse Autoren dann auch im Original gelesen, der Stil könnte also gut noch sachlicher sein, aber mich hat wirklich konkret diese redundante Doppelung gestört, die so überaus häufig auftauchte. Man kann, wie das auch schon getan wurde, argumentieren, dass die ruhig dahinfließende Sprache den ruhigen, beschaulichen Ort Kastalien symbolisiert oder illustriert, aber wenn ich stundenlanges ruhiges Dahinfließen möchte, kann ich auch eine Meeresrauschen-CD anmachen. Es ist auch nicht so, dass mich das Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit stört - viele Sätze mit wenig Handlung fallen einem nach 3000 Seiten Proust kaum noch auf - sondern wirklich der Stil, der einzelne Satz an sich, in dem ich keine Schönheit, Eleganz oder Können entdecke. Dies gilt natürlich nicht für alle Sätze, und insgesamt gelingt es ihm ja schon, Bilder und Geschichten zu zeichnen, aber da würde ich ihn einfach in eine Klasse stecken, über der es noch eine andere Klasse besserer Sprachbeherrscher gibt. Das kann natürlich von ihm gewollt sein und auf meiner Seite einfach persönlichen Geschmack ausdrücken.

Natürlich ist die Idee eines Glasperlenspiels zunächst faszinierend. Für mein Empfinden stand aber die Häufigkeit der Beschreibung in keinem Verhältnis zur Qualität der Beschreibung. Wenn ich fünfmal sage, dass ich ein Spiel kenne, das alles bisher dagewesene sprengt, alle Wissenschaften, angefangen mit Musik und Mathematik, die Harmonie des Kosmos in sich vereint - - (an dieser Stelle klingt es noch gut)

dass es so etwas wirklich in dieser Form noch nie gegeben hat - dass Einzeldisziplinen sich in diesem Spiel in ungeahnter Weise zu einem Ganzen zusammenfügen - dass dieses Spiel in Spielern, die von weither reisen, um es zu sehen, einerseits die Vielfältigkeit aller Dinge, andererseits deren Einheit im innersten Kern deutlich macht - dass man durch das Spiel in der Musik, in der Mathematik Assoziationen feststellt, die das eine mit dem anderen verbinden und alles in einer größeren Harmonie aufgehen lassen - dass die größten Virtuosen des Spieles jene sind, die darin nicht nur ein Spielen mit den Einzelwissenschaften, beispielsweise der Musik und der Mathematik, sehen, sondern den ernsthaften Kern, der in der Anschauung der Gegensätze von Einheit und Vielfalt besteht, im ständigen Fluss und gleichzeitigem Stillstehen, dass dieses Spiel geschickt mit einer Sprache spielt, die Termini der Mathematik, der Musik und anderer Einzelwissenschaften miteinander vereint usw... ohne je zu zeigen, wie das funktionieren soll...

Dann wirkt es irgendwann, als wolle man den Leser mehr beeindrucken, als man kann.

Padreic
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Fr 31. Aug 2012, 23:57 - Beitrag #73

Vor zweieinhalb Jahren habe ich es gelesen, also dem typischsten Hesse-Alter schon entwachsen. Deswegen habe ich gerade bei diesem Buch eine "Apologie" formuliert - meine anderen Hessen hatte ich im Jugendalter gelesen.

Meine Apologie hatte auch gar nicht das Ziel darzulegen, dass es besser als das Glasperlenspiel nicht ginge. Hesse hat als Schriftsteller ein gewisses Niveau, das er nicht überschreitet, da habt ihr ganz recht -- aber doch schafft er es, (durch seine ehrlichen Überzeugungen?) seinen Büchern eine gewisse Werthaftigkeit, vielleicht einen gewissen Charme mitzugeben. Ein bisschen wie eine Mittelgebirgslandschaft mit ihrer eigenen Friedlichkeit gegenüber den überwältigenden Hochgebirgen.

Traitor
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Sa 1. Sep 2012, 11:34 - Beitrag #74

Zitat von e-noon:eine ungewöhnliche, charakteristische, aber dadurch auch interessante und wenn auch manchmal störende, so doch zumindest nicht langweilige Erzählweise
Und genau so eine hat Hesse für das Glasperlenspiel gefunden. Sie ist für Literaturgattung und Genre ungewöhnlich, ziemlich charakteristisch, für dich störend und für uns interessant. Ok, langweilig war sie auch für mich stellenweise.
Zitat von e-noon:Dann wirkt es irgendwann, als wolle man den Leser mehr beeindrucken, als man kann.
Hesse schien mir schon so ehrlich zu sein, dass er den Leser nur mit dem Konzept und dessen innerweltlichen Folgen beeindrucken wollte, nicht mit einer vorgetäuschten eigenen Umsetzungsidee dafür. Und es ging ihm auch sicher weniger um solch ein Beeindrucken, als um das Schaffen des richtigen Hintergrundes für Knechts Entwicklung. Die ausführliche und wiederkehrende Beschreibung des Glasperlenspiels ist für das Setting Kastalien, was für andere Orte Landschaftsausmalungen oder Beschreibungen von Teekränzchen sind.

@Padreic: Beim Glasperlenspiel kann ich mir im Gegensatz zu seinen anderen Büchern kaum vorstellen, dass es im "typischen Hesse-Alter", außer für untypische Leser, sonderlich gut ankommt. Da dürfte es wohl eine besonders große Chance haben, ähnliche Reaktionen wie bei e-noon (zu theoretisch, zu langweilig) zu produzieren.

Die primitive Denke der Regenmacher-Gesellschaft ist ein netter Gegenpol zu manchen Steinzeitgeschichten mit allzu modern denkenden Figuren, kippt aber auch schon wieder ins andere Extrem. Hinter der Ausgestaltung steckt vermutlich das Konzept eines "schlafenden" menschlichen Geistes in der Frühzeit, der erst nach Jahrzehntausenden aufwachte und die rasche Entwicklung der Zivilisation anstieß. Aufgrund der unbestreitbaren historischen Zeitspannen hat diese Auffassung schon etwas für sich. Die Alternative, dass der frühmenschliche Geist durchaus wach war, aber mit der Härte des Alltagslebens voll ausgelastet, erscheint mir angesichts der frühen Kulturleistungen (von denen Hesse natürlich noch wenig wusste) aber schlüssiger.

e-noon
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So 2. Sep 2012, 18:57 - Beitrag #75

@Padreic: Eine "Apologie" ist sicher nicht nötig, schlecht ist das Buch ja nicht, nur eben repetitiv und ruhig, was sicher Geschmackssache ist, und es kommt auch immer darauf an, wie man etwas liest - mit offenen Augen für alles, was einem den eigenen Lebensentwurf bereichern oder erklären kann, oder in Erwartung, ein literarisches Werk erster Güte vorzufinden. Beim Glasperlenspiel hatte ich nun die Erwartung, mehr vorzufinden als bei den vorherigen Büchern, weil es als sein Hauptwerk beschrieben wurde; stattdessen habe ich (was wieder nur ein subjektiver Eindruck ist) weniger auf mehr Seiten gefunden. Ich würde glatt behaupten, dass, wenn man sämtliche (Quasi-)Synonyme des Buches streichen würde oder Sätze, die exakt das gleiche Konzept ausdrücken, man es um bis zu 20 % kürzen könnte (was natürlich ein völlig willkürlicher Prozentsatz ist, es geht um gefühlte Anteile).

Zustimmen kann ich dir darin, dass seine ehrlichen Überzeugungen seine Werke auszeichnen und von anderen unterscheiden. Gerade beim Glasperlenspiel aber hatte ich den (wieder natürlich subjektiven!) Eindruck, dass seine Werte mit dem, was er künstlerisch aussagen wollte, hin und wieder kollidierten, oder dass er selbst im Kampf mit seinen Werten nicht wusste, welche und in welcher Gewichtung er im Glasperlenspiel einbringen sollte.

Die ausführliche und wiederkehrende Beschreibung des Glasperlenspiels ist für das Setting Kastalien, was für andere Orte Landschaftsausmalungen oder Beschreibungen von Teekränzchen sind.

Ah, ja, sehr guter Vergleich. Wenn man allerdings Beschreibungen von Teekränzchen bei einem beliebigen Engländer (Austen, Eliot, Trollope, Wilde) mit dem wiederkehrenden Glasperlenspiel vergleicht, so wird der Hauptunterschied zwischen den beiden Erzählstrategien sichtbar. Erstere werden von den jeweiligen Autoren gezeigt; es entstehen Dialoge, man erkennt die Farbe des Tischgedecks, man hört, was die Personen sagen, und ahnt, warum sie es sagen, man kann dem ganzen folgen und es selbst beurteilen. Bei Wilde beispielsweise hat man dann den Kontrast einer ganz leicht aufdeckbaren Oberflächlichkeit und Beliebigkeit des Gesagten bei den Protagonisten und einer sprachlichen Brillanz und subtilen Charakterisierung beim Autor. Das Glasperlenspiel wird jedoch nie gezeigt, sondern immer nur behauptet; gleichzeitig besteht aber der Anspruch, seine verschiedenen Ausprägungen darzustellen, sodass einmal behauptet wird, dass eine chinesische Unterfütterung dem ganzen einen neuen, höchst brisanten Chic verliehen habe, ein andermal wird behauptet, dass gerade Tegularius die klarsten, reinsten, dabei am stärksten von allem rein äußerlichen, ornamentalen Gehabe freien Glasperlenspiele hervorgebracht habe, ohne dass ihm jedoch je ein Bruchteil der Bewunderung zuteil wird, die Knecht einheimst, und dass, wo doch angeblich alle so stolz darauf sind, die Persönlichkeit eines Gelehrten gar nichts und seine Gelehrsamkeit und seine Produkte alles gelten zu lassen. Zum einen passt das nicht zusammen, zum anderen wird dadurch, dass Tegularius' Genialität nur behauptet und nicht gezeigt wird, diese (für mich) überhaupt nicht relevant. Mir ist bewusst, dass das Erzählkonzept so angelegt ist, aber irgendwie... wollte der Autor für dieses Buch zuviel oder zuviel Gegensätzliches, habe ich das Gefühl. Ich hatte einfach beim Lesen nicht das Gefühl, bereichert zu werden, vielleicht auch, weil ich alle Ideen Hesses schon vorher aufgenommen hatte, vielleicht liegt es einfach daran und ich wäre beim siebten Buch Eliots ebenso enttäuscht.

Lykurg
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So 2. Sep 2012, 19:53 - Beitrag #76

Ich würde glatt behaupten, dass, wenn man sämtliche (Quasi-)Synonyme des Buches streichen würde oder Sätze, die exakt das gleiche Konzept ausdrücken, man es um bis zu 20 % kürzen könnte (was natürlich ein völlig willkürlicher Prozentsatz ist, es geht um gefühlte Anteile).
Auch wenn ich einen Teil deiner Feststellungen teilen kann, etwa was die Geschlechterrollen bei Hesse angeht, in gewissem Maße auch die unvollkommene Schilderung des Glasperlenspiels, meine ich, daß du dich hier in eine Detailbeobachtung verrennst, die du maßlos überschätzt. Die meisten der von dir oben angeführten Beispiele von Beschreibungen durch zwei Adjektive sind eben keine Synonyma, sondern ergänzen einander, sind teilweise sogar grundverschieden. Wieviel man durch deren Auslassung 'kürzen' könnte, ist völlig irrelevant, der Text verlöre an Präzision des Ausdrucks und an sprachlicher Schönheit (aber eventuell sind das nach deinem Verständnis auch Synonyme?). Und wenn du die Lebensläufe und Gedichte verzichtbar findest, wie deine Erstlektüre andeutete, wäre ich fast versucht, dir ein rein handlungsorientiertes Lesen zu unterstellen, hättest du das nicht im Proust-Disclaimer umgangen.

e-noon
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So 2. Sep 2012, 20:55 - Beitrag #77

Die Geschlechterrollen haben mich im Übrigen nicht gestört, bis auf die eine Ungereimtheit in der "matriarchalischen" Gesellschaft.

Die Lebensläufe halte ich keineswegs für überflüssig, im Gegenteil fand ich sie eher schöner ausgestaltet als das Glasperlenspiel, weil hier doch wieder durch die Individualisierung auf eine Lebensgeschichte statt eines historischen Lebenslaufes die ja sehr persönlichen Themen Hesses wieder ein persönliches Gesicht bekommen haben. Dass ich sie zunächst nicht gelesen hatte, lag lediglich daran, dass das Treffen schon am nächsten Tag war und ich zuvor zur Arbeit musste. Ich habe allerdings auch bei der Lektüre gar nicht mitbekommen, dass die Lebensläufe hinten drin standen, irgendwie ist das an mir vorbeigegangen, denn sie hatten mich schon sehr interessiert, als sie erwähnt wurden, ich dachte nur, es sei wieder ein Fall von "behauptet, aber nicht gezeigt". Ein Rätsel ist mir auch, wie dieser Lebenslauf Knechts zu seiner damaligen Stimmung, seiner Ablehnung der Lehrmeisterrolle und seinem Wunsch des ewigen Studierens passt. Eine frühe Einsicht, der er erst später nachgeht?

der Text verlöre an Präzision des Ausdrucks und an sprachlicher Schönheit (aber eventuell sind das nach deinem Verständnis auch Synonyme?).
Nach meinem Verständnis sind das keinesfalls Synonyme, fast schon zwei entgegengesetzte Prinzipien, von denen das eine häufiger in Sachtexten, das andere häufiger in fiktionalen Texten vorzufinden ist, die jedoch auch in höchst gekonnter Form zusammengeführt werden können. Sie müssen nicht zusammenfinden, konkret verzeiht man eher einem Sachtext Mangel an sprachlicher Schönheit, und einem fiktionalen, gar dichterichen Text Mangel an Präzision, die in manchen Fällen sogar der Schönheit entgegenstehen kann. Wenn ich sage, dass man einige der ähnlichen Begriffe hätte weglassen können, so ist das keine sprachliche Feststellung sondern ein Geschmacksurteil, man hätte sie für mein Empfinden weglassen sollen und hätte damit an Präzision gewonnen anstatt verloren.

Wenn ich noch mal auf mein obiges Satzbeispiel zurückkommen darf, dann lässt sich daran aufzeigen, welche Aspekte mich stören.

"Josef Knecht hat auf die wunderlichste, eigensinnigste Weise sich seiner Studierfreiheit bedient, auf eine verblüffende, jugendlich geniale Weise."

Was hat er gemacht? Wenn ich mich nicht völlig irre, hat er vor allem lange und breitgefächert studiert. Ich wüsste gerne näheres, aber gut, ich muss mich damit zufriedengeben und mich dann bemühen, dem Satz zu glauben. Dass er auf geniale Weise studiert hat, nehme ich ihm gerne ab, denn er wird ja durchgehend als Wunderkind oder eher noch als Mensch, der in allem, was er anfängt, brilliert, beschrieben, dies auch noch von seinen Bewunderern, das wundert also nicht weiter. Dass es den Oberen wunderlich vorkommt, dass er breit studiert, gut, es ist nicht die häufigste Praxis, aber muss es der Superlativ sein? Gut, akzeptiere ich auch das. Er hat sich also auf geniale und zugleich wunderliche Weise seiner Studierfreiheit bedient. Aber verblüffend? Wer war verblüfft? Unter Verblüffung verstehe ich etwas, das einem wirklich einiges an Rätseln über etwas unterwartetes aufgibt; keinen der Oberen kann ich mir in dem Kontext besonders verblüfft vorstellen, und auch seine Fans können doch nach dem Eingeständnis seiner Meisterhaftigkeit, seiner Legendarität (??) und Einzigartigkeit nicht wirklich verblüfft darüber sein, dass er auf ungewöhnliche Weise studiert.
Dann das "jugendlich" genial... ist er nicht beim Eintritt in das Kloster, das seine Studien unterbricht, an die vierzig? Aber gut, es geht ja um den Beginn seiner Studienjahre. Warum aber "jugendlich genial" und nicht "genial"? Auf welche Weise hat er studiert, die bei einem Jugendlichen genial gewesen wäre, bei einem Erwachsenen aber weniger?
Und auch das "wunderlich" und das "eigensinnig" stehen für mich in einem nicht aufzulösenden Spannungsverhältnis, denn ob ich jemanden als wunderlich oder eigensinnig beurteile, macht ja doch einen Unterschied, und durch die Doppelung wird eben nicht - nicht für meine begrenzten Möglichkeiten erkenntlich, meine ich - eine stärkere Eingrenzung des einen oder anderen Begriffes erreicht, sondern im Gegenteil eine Schwächung und größere Vagheit seiner Grenzen durch Reihung mit einem eigentlich etwas anderes aussagenden Adjektiv.
Ich hoffe, das gibt einen Einblick in die Schwierigkeiten, die ich mit diesen verschiedenen Reihungen hatte, sie schienen mir den Eindruck zu erwecken, als solle etwas Glasklares möglichst genau beschrieben werden, es wurde jedoch dadurch, dass mehrere verschiedene Linsen verwendet wurden, nicht etwa genauer dargestellt, sondern verzerrt. Der ganze Eindruck, den ich von Kastalien bekam, war in höchstem Maße verschwommen und mehrdeutig, ohne dass sich jedoch die Mehrdeutigkeiten klar unterscheiden und beurteilen ließen, da sie ja eben nicht beschrieben, sondern nur behauptet wurden. Das empfand ich, vielleicht einfach nur, weil ich etwas anderes erwartet hatte, als sehr frustrierend.

Wo du gerade nochmal die Schönheit der Sprache ansprichst, so etwas ist ja in noch höherem Maße subjektiv; mich hat zum Beispiel der in meinen Augen sehr künstliche und aufgesetzte Gebrauch der 2. Ps Plural immens gestört, "Ihr habet Recht", was aber, wenn man es unkritisch betrachtet, sicher zur Erhabenheit des Ganzen beiträgt, so wie ja auch, was jetzt nur ein bildhafter Ausdruck sein soll und keine Gleichsetzung, die Ornamente eines Bischofs an einem hohen kirchlichen Feiertag in den Augen des Wohlwollenden zu dessen Erhabenheit beitragen, während in den Augen des Kritikers das rote Käppi und der mit heiligem Ernst geschwungene Weihrauch nur die Lächerlichkeit des Ganzen betonen. Sicher sind auch beide Sichtweisen zugleich möglich, niemand hat ja behauptet, dass persönliche Eindrücke immer widerspruchsfrei erfolgen würden. ;)

Traitor
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So 2. Sep 2012, 22:44 - Beitrag #78

Das Glasperlenspiel wird jedoch nie gezeigt, sondern immer nur behauptet; gleichzeitig besteht aber der Anspruch, seine verschiedenen Ausprägungen darzustellen, [...]
Ich denke, dass Hesse aus der Ausgangssituation, dass er sich ein Thema ausgesucht hat, das er nicht inhaltlich korrekt beschreiben kann, das Beste herausgeholt hat - die von dir beklagten Nur-Behauptungen ersetzen eben die direkte Beschreibung, ihre Ausschweifendheit, Redundanz und anscheinende oder tatsächliche Widersprüchlichkeit zeichnen das anschaulich- und umfassendmöglichste Bild, wenn man keine konkreten Schilderungen hinkriegt. Die saubere Alternative wäre natürlich gewesen, das Thema ganz fallen zu lassen. Aber dann wäre uns das Buch leider vorenthalten gewesen. Und die nächste Alternative, das Spiel fast gar nicht zu beschreiben, sondern nur seine Existenz zu erwähnen, wäre tatsächlich reine Behauptung gewesen.

Tegularius' Genialität wird somit auch durchaus gezeigt, nur eben nicht mit ausführlicher Darlegung, sondern nur durch Erwähnung des Erfolges ihrer Produkte. Das ist immerhin mehr als ein reines "er war genial", ohne dass sich dies innerweltlich je gezeigt hätte.

Dass es mit der vom Erzähler behaupteten Geringschätzung von Charisma und persönlichen Erfolgen in Kastalien nicht weit her ist, dürfte ein vom Autor gewollter Eindruck sein, so permanent wie dazu Widersprüche auftauchen. Wenn nicht, wäre es wirklich ein sehr grober handwerklicher Fehler.

Die Lebensläufe fand ich wiederum halbwegs verzichtbar, sie waren eine ganz nette Spezifizierung einiger abstraker Gedanken aus dem Hauptteil, aber für mich eben keine glaubhaften Individualisierungen, sondern die darin auftretenden Figuren sehr transparente Ideenvehikel ohne echtes Eigenleben.

Was war der genaue Zeitpunkt ihres weltinternen Entstehens? Knechts letzte Studentenjahre, oder? Hatte er da nicht schon Zweifel, ob ihm das ewige Studieren reichen würde?

Zum Satzbeispiel:
Josef Knecht hat auf die wunderlichste, eigensinnigste Weise sich seiner Studierfreiheit bedient, auf eine verblüffende, jugendlich geniale Weise.
"Wunderlich" ist hier vermutlich nicht im modernen Sinne von "befremdlich", "idiosynkratisch" oder "tatterig" gemeint, sondern im älteren, ganz simpel "seltsam", vermutlich auch noch mit einem positiven Unterton im tatsächlichen Wortsinne eines (kleinen) Wunders. "Eigensinnig" enthält dann erst die moderne individualistische Note, sodass die beiden Wörter sich gut ergänzen. "Wunderlich" bezeichnet also nur die Qualität der Ungewöhnlichkeit, "eigensinnig" die Ausprägung der ungewöhnlichen Handlung. Die Superlative halte ich auch für überflüssig, aber das mag für Hesses Zeit oder ihn persönlich ein übliches Stilmittel gewesen sein, das kann ich gerade nicht beurteilen.
"Verblüffend" hat für mich gerade nicht deine Konnotation von "einiges an Rätseln aufgeben", also einem langfristigen Effekt, sondern ist eher ein kurzfristiges Überraschen, und das mag auf die Vorgesetzten durchaus zutreffen. "Jugendlich genial" würde ich als Gegensatz zu "Altmeister-genial" oder etwas in der Richtung interpretieren, also das spontane, angeborene, explorative gegenüber der Weisheit und Profundität betonend.

e-noon
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Mo 3. Sep 2012, 12:12 - Beitrag #79

Deine Analyse finde ich sehr interessant, vermutlich hast du mit alledem Recht. Dann liegt es wohl an meiner Einstellung und meinem mangelnden, fast würde ich sagen Vertrauen in Hesse, denn wenn ich einem Autor vertraue, verlasse ich mich darauf, dass wahrgenommene Widersprüche absichtlich eingestreut werden und sich zu einem sinnvollen Ganzen interpretieren lassen, hier hatte ich dieses Gefühl nicht. Warum, das weiß ich nicht, vielleicht tatsächlich, weil meine Erwartungen enttäuscht wurden und ich dann nicht flexibel genug war.

sondern die darin auftretenden Figuren sehr transparente Ideenvehikel ohne echtes Eigenleben.

Das eben hatte ich bei Knecht viel mehr. Der Regenmacher hatte wenigstens Frau und Kinder und eine Dorfgemeinschaft sowie einen Sinn im Leben; Knecht hat eigentlich, außer einer Verehrung für den Musikmeister, keine engen Bindungen. Wie Siddhartha lebt er im Wesentlichen für seine Suche, aber bei Siddhartha (Nomen est omen) wird dies wenigstens zugestanden und nicht behauptet, dass er enge Freunde habe und ein wunderbar angepasster, brillanter Teil eines Systems sei.

Aber lassen wir das doch jetzt einmal beiseite, man kann nicht jedes Buch mögen und vielleicht werde ich in zehn Jahren so weit entwickelt sein, dass ich die Klarheit und Schönheit des Glasperlenspiels ebenso wahrnehmen kann wie ihr.

Bis dahin finde ich weiterhin eigentlich Demian und die Morgenlandfahrer sehr spannend, bei Demian faszinierte mich die Möglichkeit, einen reiferen, unbewussteren, einfach fähigeren Teil des eigenen Ichs abzuspalten und als Führer und Interpreten des Mysteriösen in Persona vor einem zu sehen; das muss wirklich faszinierend sein. Bei den Morgenlandfahrern gefiel mir hingegen die Enttäuschung dieses Kultglaubens, der zwar existiert, über den sich der Erzähler aber hinsichtlich seiner eigenen Rolle sehr täuscht. Hat das jemand ähnlich empfunden?

Maglor
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Mo 3. Sep 2012, 18:46 - Beitrag #80

Zitat von e-noon:Anderen Autoren ist es gelungen, ungewöhnlichen Erzählern (Kindern, Verrückten, Verbrechern...) eine ungewöhnliche, charakteristische, aber dadurch auch interessante und wenn auch manchmal störende, so doch zumindest nicht langweilige Erzählweise zu verleihen. Auch in Kastalien wird ja immerhin Latein unterrichtet und werden diverse Autoren dann auch im Original gelesen, der Stil könnte also gut noch sachlicher sein, aber mich hat wirklich konkret diese redundante Doppelung gestört, die so überaus häufig auftauchte.

Die redunadante Doppelung oder die Aneinanderreihung von Attributen ist eine Spezialität Hesses und keineswegs werkspezifisch. Erst vor kurzem las ich ein Vorwort H. Hesses zu Gullivers Reisen mit eben den gleichen Merkmalen.
Ich fand dies nie störend. Als durchaus erholsam empfand, dass lateinische Quellen nie im Orginal zitiert werden oder auch einfach nie zitiert werden. Auch den zu jener Zeit beliebten französischen Einwürfen, wie sie bei Thomas Mann u. a. oft zu finden sind, weine ich keine Träne nach.

Die Erzählweise Hesses ist aber durchaus interessant. Die Aufteilung einzelner Werk in fiktive Einzelwerke kann durch durchaus als innovativ gelten. Beim Glasperlenspiel unterteilt es sich bekanntermaßen in Vorort, Lebensbeschreibung des Josef Knecht und die gesammeltn Schriften Josef Knecht (Gedichte und Lebensläufe). Eine ähnliche Dreiteilung gibt es beim Steppenwolf.

Zum Glasperlenspiel möchte ich aber behaupten, dass die Lebensbeschreibung keinesfalls durch sich allein spricht, sondern m. E. erst durch die Anhänge ihre Bedeutung erlangt, die etwaige Erklärungen für das offene Ende und Knechts Verhalten liefert. So wird das vermeintliche Rätsel über die Funktionsweise und den mutmaßlichen Sinn des Spieles in den Gedichten zumindest teilweise gelüftet.
Oft wir behauptet, dass Glasperlenspiel sei ein wissenschaftstheoretischer Verwurf Geistes- und Naturwissenschaft zu vereinen. Dem möchte ich aber vor allem wegen des fehlenden naturwissenschaftlichen und auch weitgehdn geisteswisseschaftlichen Elements widersprechen. Die Glasperlenspieler vereinen Philosophie (sicherlich die altsprachliche Philologie vereinnahmend) und Kunst, die auch schon bei Narziss und Goldmund als Gegensätze ausgestaltet sind. Die Herkunft des Spieles aus der Hobbythek der Mathematiker bleibt Fußnote. Die Glasperlen bleiben die optische Darstellung der Harmonisierung theologischer oder philosophier Werke nach den Gesetzen der Musik oder auch der Geometrie, das Spiel ist die Meditation über jene Anordnung der Glasperlen.
Theoretischer Hintergrund, sowohl hinter den Lebensläuf als hinterm dem Glasperlenspiel, ist wahrscheinlich Nietzsches Konzept der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Anders als die Herdenmenschen erkennt der Übermensch das drohende Verhängnis. Nietzsche: "Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht - und du mir ihr Stäubchen zum Staube."

Was bei die Gestalt des Josef Knecht jedoch macht, ist das Fehlen der dunklen Seite. Knecht fehlt es vor allem an Misanthrophie. Seine Schwermut cheint mir nur vergleichsweise leicht und wenig selbstzerstörisch. Abraxas ist Got und Teufel, Haller Mensch und Wolf, ja selbst Siddharta versucht zumindest Kind und nicht nur Geist zu sein. Das Buch enthält zu wenige Geschichten um Morde, Drogen und Wahnsinn.

Zitat von e-noon:Der ganze Eindruck, den ich von Kastalien bekam, war in höchstem Maße verschwommen und mehrdeutig, ohne dass sich jedoch die Mehrdeutigkeiten klar unterscheiden und beurteilen ließen, da sie ja eben nicht beschrieben, sondern nur behauptet wurden. Das empfand ich, vielleicht einfach nur, weil ich etwas anderes erwartet hatte, als sehr frustrierend.

Vieles bleibt im Nebel. Mehrdeutigkeit ist glaube ich durchaus beabsichtigt. Widersprüche gibt vor allem zwischen dem Erzähler und fiktiven Autor der Lebensbeschreibung und seinen Unterstellungen zur Natur der Bruderschaft usw. und der tatsächlichen Handlung. Es ist kein Kreuzworträtsel.

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