Hermann Hesse

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Traitor
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Fr 24. Sep 2010, 23:24 - Beitrag #21

Bitte was? Ich hatte 2002 noch nie vom Hessen gehört? Autsch, schon ziemlich peinlich.

Inzwischen ist er mir natürlich ein recht deutlicher Begriff, gelesen habe ich bisher allerdings nur "Unterm Rad", laut Wblig anno 2005:
Zitat von Traitor:Derzeit: Hermann Hesse "Unterm Rad". Es geht um einen schwäbischen Kleinstadtjungen, der von Vater, Lehrern und Pfarrer zum ständigen Pauken angehalten wird und sich per "Landexamen" für eine Ausbildung im "Seminar", Sprungbrett zur Pfarrer- oder Beamtenkarrere, qualifiziert.
Die erste Buchhälfte behandelte primär die Spannung zwischen diesem Leistungsdruck und dem Abschied von der sorglosen Kindheit, die zweite lässt sich so an, als ob's primär um die Auseinandersetzung mit der Autorität gehen wird.

Bisher ein gut zu lesendes Buch, die Empfindungswelt des Jugendlichen ist gut getroffen. Der Stil gleitet mir aber manchmal zu sehr ins schwafelnd-heimatverehrende ab, und die Sozialkritik bleibt im Vergleich zum Zeitgenossen Heinrich Mann arg zahm.
Zitat von Traitor:Den Hessen habe ich vorgestern beendet. Im letzten Drittel wurde mir das Ganze zusätzlich zu den bisherigen Kritikpunkten auch noch arg über-empfindsam, der Hauptcharakter war in meinen Augen nicht mehr nachvollziehbar. Erinnerte mich negativ an Werther. Und am Schluss wäre ein Rückfäll ins lebenslange Mittelmaß sowohl das logischere als auch das grausamere/tragischere Ende als der Tod gewesen.
Also, wirklich begeistert war ich nicht. Er kann überzeugend empfindsam sein, es aber auch leicht übertreiben. Sozialkritisch war es nur mäßig, dafür durchaus stellenweise kitschig.
Abgeschreckt wurde ich aber definitiv auch nicht, und zumindest das Glasperlenspiel steht seit längerem auf meiner Liste, wenn ich es mal wieder schaffen sollte, mich von englischen hin zu deutschen Klassikern umzumotivieren.

Maglor
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So 26. Sep 2010, 11:13 - Beitrag #22

Interessant, dass auch Traitor den Werther-Vergleich wählt, wenn auch ganz anders intendiert. ;)
Selbstmord ist eines der großen Themen in Hesses Prosa. Sozialkritisches oder gar politisches scheint in Hesses Werken zu fehlen, trotz aller Umbrüche, Weltkriege und Revolutionen, die in Hesses Schaffenszeit als Autor fallen und selbst seine Utopie oder Dystopie des Glasperlen-Ordensstaates Kastalien weicht den großen Fragen des 20. Jahrhunderts aus, behandelt Probleme, die den größten Teil der Menschheit nicht im geringsten Betreffen, oder wie viee träumten wirklich von der Verschmelzung von Mathematik und Musik oder Erziehung und Wissenschaft. Seine Erzählungen sind ganz auf das Innenleben und die Beziehungen der Menschen gerichtet, denn auch die physische Wirklichkeit. Maya, würde der Yogi es nennen.

Lykurg
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So 26. Sep 2010, 14:25 - Beitrag #23

Das sehe ich ganz anders, ich habe gerade das Glasperlenspiel als eine fundamentale Auseinandersetzung auch mit dem 20. Jahrhundert gelesen, eben in einer Flucht davor, einer Entziehung aus dem Politischen, wo schon im Begriff der Keuschheit eben das Unpolitische gemeint ist. Diese Entscheidung zu treffen ist (und war) aber hochgradig politisch. Bild
Natürlich steckt mehr darin, ein Programm auf den Menschen und die Gesamtheit des Wissens, Ethos des Entsagens, Wahrheit, Zwischenmenschliches und Ewiges - aber ich fand die Entstehungszeit darin streckenweise so überaus deutlich, daß es mich ein bißchen gruselte.

Padreic
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So 26. Sep 2010, 14:59 - Beitrag #24

Ich stimme zu, dass es durchaus politische Züge trägt, wenn auch keineswegs unmittelbar. Gerade der ausgesuchte Gestus der historischen Ferne (dass es sowohl in Zukunft als auch Vergangenheit spielt) verbietet allzu direkte politische Interpretation. Dass es sich aber deutlich gegen die Barbarei (der Nazis) ausspricht, ist natürlich nicht zu verhehlen.

Es ist aber eben nicht nur die politische Barbarei, sondern auch Barbarei in der eigenen geistigen Erziehung - und eben der Gegenpol der Harmonie, für den natürlich symbolisch das Glasperlenspiel selbst steht, und dann noch die vielleicht höhere Harmonie, die der Knecht anstrebt mit seinem Ausgang in die Welt, die Harmonie von Geist und Tat - die Harmonie der Welt, der er schließlich nicht gewachsen war.

Es gehört sicherlich auch für mich zur erweiterten Liste meiner Lieblingsbücher; eben auch weil es nicht im engeren Sinne gefällig geschrieben ist. Im Geiste der inneren Reinheit, Klarheit und Helle ist Narziß und Goldmund mir aber noch näher am Herzen.

Maglor
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So 26. Sep 2010, 17:29 - Beitrag #25

Es gibt Bezüge, so etwa die Beschreibung der furchtbaren Epoche des Feuilletonismus, nämlich der Gegenwart des 20. Jahrhunderts.
In dieser feuilletonistische Epoche hat man sich von der Autorität der Kirche abgewandt, lobt die Freiheit des Geistes und den Individualismus, führt im Namen der Freiheit gar Kriege.
Ich kann da jetzt überhaupt keinen Zusammenhang zur Gegenwarts Hesses, nämlich NS und 2. Weltkrieg sehen, nur eben den einen, dass die Diktatur der Nazis eben jenen aufkeimende Kultur des Individualismus und geistigen Freiheit überwand, vielleicht als eine Überwindung des feuilletonistischen Alters.

Zeitgemäßer ist Josef Knecht bedrückende Vision des Untergang des Glasperlenspiels, Vergänglichkeit der Ideen der Kultur usw.
Zu berücksichtigten ist hier doch, dass Kastalien eben durch den Meister kritisiert wird, kein Paradies der Gelehrsamkeit sondern der Intrige und rückswärtsgewandten, weltfremden Tradition ist.

Ipsissimus
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So 26. Sep 2010, 22:18 - Beitrag #26

wie Lykurg im Glasperlenspiel sehe ich im Steppenwolf, im Demian und im Glasperlenspiel deutliche Auseinandersetzung Hesses mit sozialen und politischen Belangen des 20ten Jahrhunderts, in den beiden ersten sogar explizit. Dass er dabei nie zu einem Berthold Brecht gerät sondern immer Siddharta bleibt und die Dinge also aus einer spirituell-ästhetischen Perspektive wahrnimmt und beschreibt, ist allerdings auch unverkennbar. Aber es war ja auch nicht das Anliegen Hesses, Brecht zu sein^^

Lykurg
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So 26. Sep 2010, 22:37 - Beitrag #27

Knecht scheitert ja auch an seinem wirklichkeitsfremden Versuch, kastalische Ideale nach außen zu übertragen. Natürlich ist es allenfalls Parabel und verwirklicht vieles, das in unserer Welt völlig utopisch ist. Und auch die Außenwelt mit ihren Kriegen, aber eben auch der Ermöglichung und Bewunderung Kastaliens entspricht nicht dem Dritten Reich - (eine solche Verharmlosung und Verzerrung will ich Hesse auch nicht unterstellen). Es bleibt bei Tendenzen und Stimmungen. Daß Brecht so etwas nicht hätte schreiben können oder wollen, ist von da her klar; ich möchte aber keinen von beiden missen.

Ipsissimus
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Mo 27. Sep 2010, 12:01 - Beitrag #28

diese Frage stelle ich mir immer wieder - ist Knecht eigentlich gescheitert? Sein Lebenslauf lief nicht wirklich auf die Stelle als Direktor einer Schule hinaus, er war vielmehr von Anfang an erpicht auf das Glasperlenspiel (sonst wäre er bei der Musik viel besser aufgehoben gewesen), dessen höchsten Rang er schließlich erreichte und transzendierte. Wo sollte er noch hin?

Und das Kritische daran formulierte er selbst schon recht früh im Buch - wenn mensch ein Spiel zu sehr durchschaut, dann ist er im Grunde über das Spiel hinweg gewachsen.

So interpretiere ich jedenfalls sein Ende. Er hat das Höchste erreicht, das Höchste war nicht hoch genug, aber es blieb auch nichts mehr zu tun, was nicht Wiederholung gewesen wäre. Bei einem semi-teleologischen Weltbild, das man Hesse vielleicht unterstellen darf, wäre dieses Ende damit nur folgerichtig und hätte nichts mit Scheitern, aber alles mit Vollendung zu tun.

Padreic
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Mo 27. Sep 2010, 12:44 - Beitrag #29

Ich habe das Ende so empfunden, dass hier sehr krass die natürliche Wirklichkeit in die harmonischen Pläne eines Geistmenschen eindringt: sie bringt ihn um. In einer sinnlosen und unnötigen Weise. Er hatte vielleicht die Vollendung in Kastalien erreicht - aber sein neues Leben, das er anfangen wollte, wurde ihm (durch eigene Schuld?) genommen, bevor es richtig begonnen hatte.

Ich hatte beim Lesen ein bisschen das Gefühl, dass sich Hesse aus dem weiteren Erzählen der Geschichte rausgemogelt hat. Vielleicht hat er das auch; aber die Interpretation, dass hier der Geistmensch der rauen Naturgewalt nicht gewachsen war, dass er dachte, er könne alles planen, und dann auf so lächerliche Weise umkommt, die gefällt mir auch.

Lykurg
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Mo 27. Sep 2010, 13:48 - Beitrag #30

Sicher, er hat alles erreicht, was innerhalb Kastaliens zu erreichen war, und da er als ein ungewöhnlich begabter Kenner beider Welten weiß, daß das nicht mehr ausreicht, daß zum Schutz Kastaliens (wie ungefähr auch immer sowohl die Bedrohung als auch die Möglichkeit einer Rettung sein mag) eine gute Verbindung zu den Mächtigen der Welt gehört, strebt er dies an.
Und ja, in gewissem Maße ist schon das eine Verklärung (Entrückung aus K.) und ein höchstes Opfer, aber das Ziel einer Wirkung auf den Knaben erreicht er zumindest nur ansatzweise. Stattdessen wirkt der Knabe auf ihn, und auch hier wieder treffen Verklärung und klägliches Ende aufeinander.

Inwieweit aber das vollkommene Spiel als Meister wirklich das höchste Ziel war, das er nur noch hätte perpetuieren können, oder aber eben eine solche Neuverbindung Kastaliens mit der Welt das gebotene Ziel seiner Existenz war? Die Erzählung läßt es als Schriftensammlung offen; vielleicht auch, weil nur Knecht der Konsequenzen seines Tuns völlig bewußt war?

Ipsissimus
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Mo 27. Sep 2010, 15:19 - Beitrag #31

es steht allerdings zu bedenken, dass die letzten paar 50 Seiten von Hesse explizit als Legende von Joseph Knechts Ende beschrieben werden, dass also auch Buch-intern nicht feststeht, ob er und wie er gestorben ist. Der anonyme Ich-Erzähler des Buches begründet diese spezifische Legende damit, dass ein derart ungewöhnliches Ende für das Wesen eines Joseph Knecht wohl am angemessendsten sei - über alles hinweggeschritten, blieb ihm nichts mehr zu tun übrig, also ging er, auch auf der reinen körperlichen Ebene. Dass dieser Tod, so er so stattgefunden hat, überflüssig war und wirkungslos geblieben wäre, findet sich in der Legende so auch nicht, denn der Junge, um dessentwillen derartiges geschah, sah ja ein, dass sein Leben zukünftig Größeres als das bisher Projektierte von ihm verlange, um sich eines derartigen Opfers als wert zu erweisen.

Es wird wohl objektiv nicht zu klären sein - Hesse hat sich meines Wissens nach dazu nicht erklärt - und bleibt auch im Buch Legende, also ungeklärt. Aber die Kastalier werden - das Buch weiter gesponnen - mit dieser Legende leben und so wird sie wirkmächtig werden. Wenn man dann noch das Gedicht Knechts dazu nimmt ...

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

... so kommt es mir gar nicht vor, als sei die Legende von Joseph Knechts Ende eine Legende vom Ende sondern von einem Anfang.

Maglor
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Mo 27. Sep 2010, 17:41 - Beitrag #32

Ich halte das Ende des Josef Knecht nur für eine weitere Reinkarnation des Regenmachers, des Josefus Famulus und dieses indischen Prinzen. Durch den Tod des Meister gehen die Aufgaben auf den Schüler über.
Ehedem die Fortsetzung des Glasperlenspieles, eben außerhalb des erschlaffenden Ordens.
Tod und Untergang, Erneuerung und Wiedergeburt. So auch sein Wusch, sich jungen Schülern zuzuwenden und der erschlaffenden Elite zu entkommen, die offenbar geradeaus dem Untergang entgegenläuft.

Auf der anderen Seite halte ich es für offensichtlich, dass Josef Knecht als Glasperlenspielmeister sich durchaus dem geschmähten Feuilletonismus annähert; eigentlich würde es dem Glasperlenspieler gar nicht zustehen sich zu politischen und historischen Gegebenheiten zu äußern, genausowenig wie es einem Weltmenschen zusteht sich zum Glasperlenspiel zu äußern, z. B. Plinio, Tito... (Was aus Tito wurde, bleibt unklar, daher ein offenes Ende...)
Ebenso stellt sich der fiktive Autor des Glasperlenspiels gegen den Zeitgeist und beachtet die Biografie des Josef Knecht, quasi nach feuilletonistische Methode.
Zuguterletzt bleibt die Frage der Nachwirkung, inwieweit die Legende um Josef Knecht ihre eigene Wirkung auf Kastalien und den Orden hatte. Nach Aussage des Autors existierte beides noch zu der Zeit, als die Erzählung aufgeschrieben wurde.

Maglor
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Mo 18. Okt 2010, 21:32 - Beitrag #33

"Narziss und Goldmund" habe ich nun abgeschlossen.
Tatsächlich hat man den Eindruck, das Buch wäre voller Anspielungen auf die Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich ist es aber so, dass Hesse Goldmunds Ausflug zu Pest, Progrom und Totentanz bereits 1930 veröffentliche, also ganze 3 Jahre vor Beginn der Nazi-Diktatur!
Es grenzt an Prophetie, dieses ewigen Bild, der alles tötenden, lachenden Frau.

Das Thema des Buches ist nebe einer vernichtenden Liebe zur Jungfrau Maria, eben die Liebe zweier Knaben und Männer, eines entlaufenen Klosterschülers und Priesters.
Von Narziss selbst wird dies durchaus homosexuell gedacht: "Mir scheint die Sonne, dir scheinen Mond und Sterne, deine Träume sind von Mädchen, meine von Knaben." Allerdings als eine unterdrückte Sünde und dem Narziss scheint selbst die platonische Liebe eine solche.

Ansonsten die übliche Hessischen Themen: Geist- und Weltmenschen, Weltflucht und Geistflucht, Selbstmord, Leben und Tod, Offenbarung, Geisteskrankheit, Liebe und Sex...

Ipsissimus
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Di 19. Okt 2010, 13:25 - Beitrag #34

Allerdings als eine unterdrückte Sünde und dem Narziss scheint selbst die platonische Liebe eine solche.
und im Lichte dieser Aussage auch eine Geschichte über eine Freundschaft, die gegen alles durchhält

Feuerkopf
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Di 19. Okt 2010, 14:49 - Beitrag #35

"Narziß und Goldmund" war meine Lieblingslektüre als Teenager.
Für mich war es eine Offenbarung, wie treffend und sinnlich Hesse die zwei Seelen in der Brust eines Menschen beschrieb, denn die beiden Jungen/Männer waren die zwei Seiten einer Medaille, die ohne einander nicht komplett sind.

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Mi 27. Okt 2010, 02:10 - Beitrag #36

Ich habe von Hermann Hesse nur "Siddharta" gelesen und sehr lange dafür gebraucht, weil es ziemlich anstrengend zu Lesen war.
Trotz allen war der Eindruck, den ich von dem Buch hatte, sehr positiv, es wurde alles als schön beschrieben, ein sehr krasser Kontrast zu dem Buch, das ich davor gelesen habe (dort wurde alles als stinkend beschrieben). Auch sehr interessant fand ich den ganzen Wesenszug des Siddharta.
Ein sehr schönes und vor allem gelungendes Buch von einem sehr guten Autoren.

Ipsissimus
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Mi 27. Okt 2010, 10:34 - Beitrag #37

was für ein Buch hattest du vorher gelesen?

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Mi 27. Okt 2010, 10:47 - Beitrag #38

Patrick Süsskind "Das Parfum" (von der Schule aus)

Ipsissimus
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Mi 27. Okt 2010, 18:00 - Beitrag #39

na ja, der Protagonist des "Parfüms" verfügte bis zu seinem abrupten Liebestod^^ ja über ein beinahe übernatürliches Geruchsempfinden^^ fandest du die Beschreibungen in dem Buch wenig schmeichelhaft, oder was genau meinst du mit "als stinkend beschrieben"?

Und hinsichtlich Siddharta, was ist aus deiner Sicht das Interessante an seinem Wesenszug?

Traitor
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Mo 28. Mai 2012, 22:19 - Beitrag #40

Kommen wir zurück zum Glasperlenspiel, das zuletzt im "Welches Buch lest ihr gerade?" (ab hier) diskutiert wurde. Ich hatte es nach sehr gefallendem Hauptteil und 2 als etwas redundant empfundenen "Lebensläufen" erstmal längere Zeit zur Seite gelegt, da ich auf nochmal 70 Seiten Meister-Schüler-Romanze keine Lust hatte. Dann stellte sich aber zum Glück heraus, dass der dritte (indische) Lebenslauf selbst sehr viel kürzer ist und die letzten Seiten nur noch Suhrkamp-Essay-Kram waren. ;)

Im ersten ca. Drittel fand ich das Glasperlenspiel insbesondere als Abhandlung und Denkanregung zur Natur der Wissenschafen faszinierend. Die Idee zur Verbindung aller Künste ist natürlich sehr naiv, aber trotzdem hübsch.
Den fragwürdigsten Aspekt der kastalischen Ideologie sehe ich dabei im Verzicht auf Neuschaffung. Ja, man blickt verachtend auf die Feuilletonisten zurück, aber warum die Werke der Prä-Feuielletonisten inhärent wertvoller seien als potentiell Neuzuschaffendes, erschließt sich nicht so recht.

Auch das Konstrukt Kastalien ist natürlich sehr interessant, wobei sich mir bis zuletzt seine Rolle in der Welt nicht ganz erschlossen hat - ist Kastalien die Schweiz? Ist es ein Teil davon? Gibt es andere Kastaliens in der Welt, oder ist es einzigartig? Der "Bundesrat" und ein paar andere Elemente deuten darauf hin, dass es nur ein Teil der Schweiz ist, aber die Geographie ist irgendwie zu groß, und es reisen weltweite Würdenträger an und die Einzigartikeit wird oft betont, obwohl auch mal von "anderen Provinzen" geredet wird. Aber das ist nur nebensächliche Spekulation eines Fantasy-Freundes mit Weltenkonstruktions-Interesse, Hesse selbst wird darauf nicht viel Wert gelegt haben, und für die Werkanalyse ist es völlig egal.

Die Lebensläufe scheinen dann als wichtigste Botschaft des Werkes die Meister-Schüler-Geschichte zu betonen, und das sagte mir nicht mehr sonderlich zu. Dass Hesse auf Yogis stand, gut, geschenkt. Aber das mit dem "Werben" des Jungen um einen Meister (im "Regenmacher") ging völlig an mir vorbei. Und das Verachten der "Nurbegabten", also fachlicher Talente mit Mangel an "geistiger Reinheit", finde ich eine sehr bedenkliche Einstellung, da ist Hesse selbst kastalischer als Kastalien. Es sei denn, man stellt hier tatsächlich den Autor Hesse hinter den Autor (junger) Knecht zurück und nimmt an, dies seien nicht die Meinungen des Echtautors. Dafür wirken sie aber zu leidenschaftlich vorgetragen.

Sehr nett fand ich dagegen die Gedichtsammlung zwischen Hauptteil und Lebensläufen, insbesondere der gekonnte Wechsel zwischen Stilimitationen, mal Sturm und Drang, mal Expressionismus.

Zitat von Maglor:seine Utopie oder Dystopie des Glasperlen-Ordensstaates Kastalien weicht den großen Fragen des 20. Jahrhunderts aus, behandelt Probleme, die den größten Teil der Menschheit nicht im geringsten Betreffen
Andererseits sind das eben große Fragen, die ansonsten vernachlässigt werden, und somit ist ihre ausführliche Behandlung auch schon eine Stellungsnahme. Nicht nur als bewusste Flucht, wie Lykurg anmerkt, sondern auch als versuchte Fokusverschiebung.

Zitat von Ipsissimus:Sein Lebenslauf lief nicht wirklich auf die Stelle als Direktor einer Schule hinaus, er war vielmehr von Anfang an erpicht auf das Glasperlenspiel (sonst wäre er bei der Musik viel besser aufgehoben gewesen), dessen höchsten Rang er schließlich erreichte und transzendierte. Wo sollte er noch hin?
Ganz zu Anfang schien ihm ja noch lange nicht klar zu sein, worauf er aus war, nur, dass er etwas suchte. Dann war das Glasperlenspiel der Fokus, ja, aber schon in Marienfels schien er darüber hinaus zu sein, und das persönliche "Erwachen" scheint mir Hauptziel geworden zu sein, das Spiel nur noch Mittel dazu. Gegen Ende würde ich dann die Lehre als seine endlich entdeckte wahre Leidenschaft sehen, verstärkt durch das Hintenanstellen der Lebensläufe, die dieses Motiv wieder betonen.

Zitat von Padreic:Ich hatte beim Lesen ein bisschen das Gefühl, dass sich Hesse aus dem weiteren Erzählen der Geschichte rausgemogelt hat. Vielleicht hat er das auch
Ein Mogeln hatte ich beim "ab hier ist alles Legende" auch erwartet, die viel einfachere und saubere Variante dafür wäre aber ein "und er ging ins Gebirge und ward nie mehr gesehen" gewesen, also bezweifle ich, dass er wirklich mogeln wollte.
Sinnlosigkeit und Lächerlichkeit drängten sich mir aber auch stark auf, die Seeszene wirkte auf mich fast wie etwas von Frisch statt von Hesse. Für eine Deutung als Entrückung, Transzendierung, neuer Anfang schien mir der Schreibstil hier unpassend, Knechts Empfinden nicht als bejahend genug dargestellt. Andererseits ist es immer noch ein erhabener, reduktionistischer Bergsee, kein tiefweltliches Sterben. Man muss sich wohl mit der Feststellung gewollter Widersprüchlichkeit und Offenheit zufrieden geben.

Zitat von Maglor:Auf der anderen Seite halte ich es für offensichtlich, dass Josef Knecht als Glasperlenspielmeister sich durchaus dem geschmähten Feuilletonismus annähert
Das erschien mir durchaus anders. Insbesondere durch seine Benediktiner- und Chinesen-Schulungen denke ich, dass Knecht als Positivbeispiel hingestellt wird, wie durchaus dem Feuilletonismus ähnliches Individualitätsbestreben durch Geisteszucht und Reflektion eben nicht dessen Sünden erliegt.

Zitat von Maglor:Zuguterletzt bleibt die Frage der Nachwirkung, inwieweit die Legende um Josef Knecht ihre eigene Wirkung auf Kastalien und den Orden hatte. Nach Aussage des Autors existierte beides noch zu der Zeit, als die Erzählung aufgeschrieben wurde.
Aber die Zeit Knechts scheint dem Schreiber noch viel näher zu sein als die des anderen legendären Meisters, der öfters erwähnt wird (Name schon wieder entfallen), also denke ich, dass die Niederschrift durchaus noch innerhalb der Zeitspanne (2-3 Generationen?) stattfand, für die Knecht noch keinen unmittelbaren Untergang voraus sah, aus der reinen Fortdauer also noch keine Nachwirkung geschlossen werden kann. Da er noch ein heißes Thema ist, darf sie aber durchaus als wahrscheinlich gelten.

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