Hallo Fargo,
dies scheint sich langsam zu einem Zwiegespräch zu entwickeln, ich schlage darum vor, möglichst bald wieder im Text voranzugehen.
Was mich an deinen Ausführungen des Autismusses nicht überzeugt ist kurz gesagt, dass mir der Akzent, den du auf die Forumlierungen durch die modernen Wissenschaften legst, zu stark ist. Aber dazu vielleicht doch besser an anderer Stelle mehr.
Unter mittelalterlichen Mystikern verstehen wir anscheinend auch nicht das selbe, darum kruz: um das, was du Mystizismus nennst, geht es mir nicht. Ich dachte auch nicht an die Offenbarung d. Joh., die gehört nicht mal ins Mittelalter, sondren eher an Autoren wie Bonaventura, B. v. Clairvaux o.a.
Ein typisches Phänomen der neuzeit ist es z.b. dem Menschen einen grundsätlichen Normalitätsstatus unterzuschieben, den es nicht gibt. Dann werde alle möglichen Spezifikationen als Krankheitsbilder benannt, die von diesem fiktiven Bild abweichen. Fakt ist aber, dass somit jeder mehr oder weniger krank ist, und da man viele benannte Sympthome auch an sich erkennt, ist eine gewisse Art von Psycho-hypochondrie Folge incl. den damit verbundenen Depressionen wohl nicht selten; ja, wird wohl auch nicht selten durch diese hervorgerufen.
Früher legte man, kurz gesagt, eher Wert darauf, Persönlichkeit zu entwickeln, und dazu gehört auch, vermeintliche Krankheitsbilder nicht einfach abzuschalten wie bei einer Maschine (dass sowas ginge, davon versucht uns die moderne Wissenschaft ja immer wieder mehr oder weniger erfolglos zu überzeugen), sondern zu lernen mit ihnen zu leben und zu reifen.
Aber mal näher zu Zweig.
genau
Es gibt auch noch andere Literaturformen - Sprachspielereien können durchaus große Schönheit aufweisen, ohne viel zur Erhellung der Wirklichkeit beizutragen.
Da ist wohl mein Wirklichkeitsbegriff weiter. Wenn etwas schön ist, von sich aus gefällt, gehort es nämlich imho durchaus zur Wirklichkeit. Ich meine nicht den modernen Realitätsbegriff, wie ihn z.B. die Realisten vertreten, sondern mehr im traditionell christlichen Sinne, das Gute, das Wahre, mit all seinen Facetten.
Dein Versuch, das maßstabgetreue Abbild der Wirklichkeit zur Plficht zumindest für den mit Elementen der Wirklichkeit arbeitenden Roman zu machen, stößt aber auf meinen entschiedenen Widerspruch.
Das mag wie gesagt daran liegen, dass du mir einen anderen Wirklichkeitsbegriff unterlegst, als ich es intendiere.
Mit diesem Anspruch verbannst Du schon mal ganze Abteilungen der Weltliteratur ins Reich des Kitsches - den magischen Realismus etwa. Ganz zu schweigen von der Tradition fantastischer Literatur im maroden Österreich-Ungarn, Kafka, Perutz und Konsorten - die alle sehr viele Elemente dem prosaischen Alltag entnehmen, um sie dann mit ganz und gar fantastischen, bizarren, surrealen Elementen zu koppeln.
Das tu ich ganz gewiss nicht. Vielleicht könnte man an Beispielen erläutren, was ich meine. Innerhalb seiner gesetzten Rahmenbedingungen plausibel kann wie ich schon gesagt habe, durchaus ein Märchen sein. Kafka, den du genannt hast, mag ich z.B. sehr und seine düstere Stimmungen, die er beschreibt, sind für mich oft genug mehr als Wirklich. Auch die Art, wie seine Personen handeln, sind imho sehr überzeugend in dem vom ihn gesetzten Kontext eingebunden. Auch bin ich ein grosser Freund der phantastischen Literatur, wie Poe, oder E.T.A. Hoffman...
Was ich hingegen überhaupt nicht mag, sind so sachen, wie "Die unendliche Geschichte" von Ende oder "Stein und Flöte" von Bemmann. Hier wird permanet aus dem grundsätzlichen Plot ausgegriffen. Bei Bemman merkt man es schon an den Namen, dem "Beherzten Flötenspieler", z.B. (was ist das überhaupt für ein Name) oder bei Ende, wenn er eine Schlucht beschreibt, es aber geographisch klar ist, dass diese nur da ist, um psychologisch etwas über den, der auf sie zurennt, auszudrücken. Wäre der Läufer in einer anderen Situation, hätte die Schlucht keinen Sinn, und wäre auch nicht da.
Bei Zweig ist das längst nicht so offensichtlich konstruiert, darum sagte ich auch, dass ich mir dort mit meiner Kritik nicht sooo sicher sei. Aber es hat starke Anklänge, zumindest beim Lesen bei mir erweckt, und somit hat mich das aufgeschreckt.
Nein, Aufgabe der Literatur ist nicht die Welterhellung - was ja schon ein wenig nach Lesererziehung und Weltverbesserung klingt.
Das habe ich auch nicht gesagt. Kunst ist imho etwsa, was auf eine spezifische Art etwas über die Welt aussagt. Und zwar auf eine Art, wie es die Wissenschaft nicht kann. Man könnte vielleicht sagen, mehr emotional, aber das trifft es auch nicht. Es ist eine Art, sich dem Weltverständniss zu nähern, ohne es in die Schranken der Wort-Sprache drängen zu müssen. Darum ist es in einigen Gebieten einfacher, durch ein Kunstwerk Verständnis zu bekommen, und in anderen schwerer. Auch das Spiel, was du anführst, ist nicht Sinn, sondern Art. Kunst kann sowas spielend bewerkstelligen, aber das Spiel ist nicht der Selbstzweck.
Somit stelle ich auch nicht die Forderung, Literatur solle im wissenschaftlichen Sinne ernsthafter werden. Dennoch: die innere Plausibilität ist wichtig. Genauso würde es z.B. aus Zweigs Erzählung negativ auffallen, wenn dort mir Euro bezahlt würde. Dies hat mit der Tiefe, der Ernsthaftigkeit nicht unbedingt was zu tun.
Zweigs Text ist in vielem ein extrem künstlicher - die Sprache der Haftschilderung habe ich oben schon erwähnt. Dass die Geschichte auf einem Ozeandampfer spielt, ist einerseits realistisch - die dicken Pötte waren ein reales Transportmittel. Andererseits ist es symbolisch - das Schiff fährt hinaus aus der vertrauten Realität, und bevor die Reisenden in einer anderen Realität wieder ankommen, befinden sie sich in einem seltsamen Zwischenreich - in dem die Grenze zwischen Ordnung (Bordleben) und Chaos (das Meer) dünn geworden ist und die Relationen zwischen beiden bedrohlich geworden sind.
Natürlich sollte Stilmittel, Formales und Inhalt zusammenpassen, und gerade in der Lyrik, z.B. bei Sonetten kann man das ja gut sehen, wie mathematisch diese Dinge durchkomponiert sind, und dennoch oder gerade deshalb auch inhaltlich passen. Das Genie bringt diese Aspekte übereinander. Wie aber schon gesagt: im Charakter des Schachweltmeisters scheint mir das nicht gelungen. Gegen die anderen Bilder habe ich eigentlich nichts.
Ja, Czentovic ist als passender Widerpart zu B. erfunden, ja, er ist eine Kunstfigur. Aber nein, das macht ihn noch nicht unglaubwürdig, das erst macht ihn zum funktionierenden Teil der Erzählung.
Nun gut, da teilen sich halt unsere Eindrücke.
Gruss,
Thod