Tabak im Alten Ägypten?

Der Kaktus auf dem Fensterbrett und der bedrohte Regenwald, Haustiere, die uns zu Kühlschrankbutlern erziehen, Wildtiere, die ihre Lebensräume verlieren, Reisen in die Einsamkeit und Erkundungen von Städten.
janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 19. Jun 2007, 21:33 - Beitrag #1

Tabak im Alten Ägypten?

In einer, allerdings weniger seriösen, Zeitschrift bin ich kürzlich auf einen Artikel gestoßen, in welchem erwähnt wird, daß in einigen altägyptischen Mumien Tabak gefunden worden sein soll, was einen jungen Wissenschaftler zu einem Experiment animiert hat: Er will mit einem altägyptischen Darstellungen nachempfundenen Boot den Atlantik vom Mittelmeer bis Mittelamerika überqueren und zurück und damit belegen, daß technologisch diese Reise schon damals möglich gewesen ist. (Im Gegensatz zu Thor Heyerdahl, der nur die Hinfahrt bewältigte)
Mittlerweile finden sich auch einige Seiten dazu im Netz, wobei die Frage der Tabakfunde allerdings zu einem wissenschaftlichen Glaubensstreit stilisiert wird mit der Annahme, der Tabak sei eher durch rauchende Archäologen in die Mumien gelangt.
Nun von mir die Frage, was es nun wirklich mit diesen angeblichen Tabakfunden auf sich hat und ob es dazu belastbare Quellen gibt.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mi 20. Jun 2007, 10:23 - Beitrag #2

Ich meine, darüber hätte ich auch kürzlich mal etwas gelesen. Dabei wurde dann aber erwähnt, dass die gefundenen Rückstände nicht unbedingt von Tabak stammen müssen, sondern dass irgendwelches Zeug aus Äthiopien oder so sie auch produzieren könnte. Mal sehen, ob ich das wiederfinde.

Den Reisebeweis hat Heyerdahl ja eigentlich schon hinreichend angetreten, denn wenn die Hinfahrt klappt und das Boot zu durchnässt ist, kann man für die Rückfahrt ja im Zweifel auch ein neues Boot bauen. Und die West-Ost-Fahrt ist meines Wissens dank Wind und Strömungen die einfachere.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mi 20. Jun 2007, 11:39 - Beitrag #3

Ja, die Sache mit irgendwelchen afrikanischen analogen Pflanzen geistert auch durch die Berichte.
Wobei das im Zweifel en Archäobotaniker erkennen würde, allerdings beruht die Segelei auf chemischen Nachweisen von Nikotin.
Irgendwie ein Fall von mangelnder Interdisziplinarität in der Archäologie, scheint mir.

Die West-Ost-Route soll die schwierigere sein, weil der Golfstrom zwar nach Osten führt, aber recht weit nach Norden, dafür ist die Westwinddrift recht unbeständig - wenn sie bläst, dann mit gefährlicher Sturmstärke, und sonst kommen immer wieder Flauten und Ostwind dazu.

Besonders skeptisch macht mich aber, daß in den Berichten ein Zeitraum von bis zu 14000 Jahren genannt wird, seit dem der Schiffsverkehr bestanden haben soll.
Sicher, der ergibt sich, wenn man sich auf die Felszeichnungen in Spanien bezieht, in denen der Segler eine Art antiker Halbweltkarte erblickt. Allerdings macht dann das Vorhaben die Rechnung ohne die Eiszeit, wo nämlich recht wahrscheinlich der Golfstrom zusammen gebrochen war und auch sonst die Windsysteme durch die Eisbedeckung großer Teile Europas deutlich verändert gewesen sein dürften.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 20. Jun 2007, 17:16 - Beitrag #4

Man kann wohl davon ausgehen, daß es sich um andere Tabakarten bzw. Tabakverwandte handelte. In Antike Welt 25 (1994) fand ich einen hierfür recht interessanten Artikel von Svetlana Balabanova: "Tabak in Europa vor Kolumbus". Kernpunkte daraus:

Archäologischer Befund:
- In prähistorischen mumifizierten bzw. skelettierten Körpern, die an fünf Orten Österreichs und Südbayerns gefunden wurden, konnten Nicotin und sein erster Metabolit Cotinin nachgewiesen werden - also offensichtlich keine nachträgliche Kontamination, sondern Konsum zu Lebzeiten.

- Beides konnte auch für 5000 Jahre alte Skelette aus Südchina nachgewiesen werden.

- In verschiedenen Ländern Mitteleuropas wurden bei Ausgrabungen Pfeifen aus Ton, Holz, Bronze und Eisen in vorneuzeitlichen Kontexten gefunden, etwa in den Aulkengräbern bei Osnabrück.

Historische Quellen:
- Nach antiken Quellen (Herodot, Plutarch, Pomponius Mela, Strabon, Plinius) verbrannten diverse Völker des Mittel- und Schwarzmeerraumes (Skythen, Thraker u.a.) bestimmte Pflanzen und atmeten den Rauch ein.

Botanik:
- Nicotiana tabacum ist zwar in Amerika heimisch, der sehr stark nikotinhaltige Bauerntabak Nicotiana rustica dagegen wird schon bei Dioscurides (im 1. Jh. n. Chr.) beschrieben. Übliche Namen für diese Pflanze, die in den Botaniken ab dem 16. Jh. oft auftaucht, waren auch "türkischer Tabak" oder "syrischer Tabak"; schon 1561 schreibt Conrad Gesner, der Bauerntabak stamme aus Syrien - zweihundert Jahre später sollte sogar die These aufkommen, die Sitte des Tabakrauchens sei (zuerst?) aus Asien nach Europa gekommen.

- In China ist "seit Jahrhunderten", vielleicht aber auch schon sehr viel länger - wie die Skelettfunde zumindest nahelegen dürften^^ - Nicotiana fruticosa heimisch.

- Unter den Literaturangaben fand sich auch ein Aufsatz von Merxmüller/Buttler (den du dir ggf. selbst raussuchen müßtest):
Nicotiana in der afrikanischen Namib - ein pflanzengeographisches phylogenetisches Rätsel
, in: Mitt. bot. München 12 (1975) 94-104.

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Mi 20. Jun 2007, 17:44 - Beitrag #5

Wie wäre es mit der Darreichungsform als Kautabak?
Auf die Schnelle habe ich ergoogelt, dass diese Form des Nikotingenusses schon zu Columbus' Zeiten nachgewiesen ist. Es steht zu vermuten, dass die Kauvariante noch einiges älter ist, zumal sie weniger aufwändig ist. Vielleicht findet sich noch etwas dazu.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 20. Jun 2007, 17:54 - Beitrag #6

Klar, dagegen spricht erst recht nichts - wäre eine mögliche Erklärung dafür, warum man in Ägypten mW keine Pfeifen gefunden hat. Kautabak dürfte über eine verstärkte Nicotin-Konzentration in den Zähnen nachweisbar sein - die beim Rauchen wahrscheinlich eher wenig abkriegen.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mi 20. Jun 2007, 20:53 - Beitrag #7

Die Pfeifen belegen nur, daß etwas geraucht wurde - und da gab es z.B. im antiken Rom den Majoran (Oregano), der wohl gerne geraucht wurde - wäre mal einen Versuch wert^^ -, außerdem Hanf, vielleicht Mohn und anderes. Man müsste mal in den Holzpfeifen nach Resten von Nicotin suchen, das Zeug ist ein ziemlich potentes Anti-Mycoticum (Wirkstoff gegen Pilze - und natürlich anderes) und dürfte somit in Spuren nachzuweisen sein, wenn es in den Pfeifen geraucht worden sein sollte.
Nicotiana rustica stammt aus Nord- und Mittelamerika und ist wohl bereits um 1500 nach Europa gelangt und wurde dann in Portugal und Spanien angebaut. Gut möglich, daß es von dort aus dann die arabische Welt erreicht hat und dort so verbreitet wurde, daß daraus in Europa der Eindruck eines typisch arabischen Brauchtums wurde.
Es gibt in der Alten Welt wohl nur in Namibia ein oder 2 Nicotiana-Arten - die Merxmüller-Arbeit muss ich mir mal besorgen! -, welche auf den ersten Blick so merkwürdig erscheinen wie die eine Weihnachtskaktus-Art, die an Namibias Küsten vorkommt, wobei es aber wohl eine recht einleuchtende Erklärung dafür gibt:
Entstehung der Tabak -Arten weltweit
Wobei die Sache mit N. fruticosa mal eine nähere Betrachtung wert wäre...
Früge sich dann immer noch, wie die nach China gelangt wäre - die Beringstraße kann natürlich in beiden Richtungen begangen worden sein, aber während der Eiszeiten war ganz usa mit ziemlicher Sicherheit Tabak-frei, und ob jemand später Samen durch Kanada und Alaska da rüber getragen hätte...?
Gut, die Oster-Insulaner...

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Do 21. Jun 2007, 03:20 - Beitrag #8

Naja, janw, damit hast du aber sowohl über die österreichischen Knochen mit Nicotinspuren hinweggesehen als auch über die Bauerntabak- bzw. Hyoscyamea-Erwähnungen bei Dioscurides... Zugegebenermaßen hatte der Aufsatz ein paar argumentative Schwächen, und dies war wohl eine davon.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Do 21. Jun 2007, 16:08 - Beitrag #9

Stimmt natürlich, die Nicotin-Funde und die Sache mit Dioscuroides bleiben damit unerklärt.
Nach dem, was ich bislang gelesen habe, gibt es aber keinen einzigen manifesten botanischen Nachweis von Nicotiana rustica vor seiner Einführung aus Amerika durch/nach Columbus. Dazu kommt, daß Columbus einigen Berichten nach recht überrascht über die Rauchpraxis der Indianer war, d.h. sie war zu seiner Zeit in Europa unbekannt, ins Vergessen geraten - was ich schon für recht merkwürdig halte.
Bei Dioscuroides müsste man mal quellenkritisch ergründen, welche Arten er denn nun gemeint hat. Hyoscyamus niger, das Bilsenkraut, ist in Eurasien-Nordafrika heimisch und schon seit langem als Rauschdroge in Gebrauch.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Fr 22. Jun 2007, 00:19 - Beitrag #10

Genau die Quellenkritik fehlte mir in diesem Aufsatz; irgendwie wurde zu flapsig damit umgegangen, ob Dioscurides Bilsenkraut oder Bauerntabak beschreibt, und die entscheidende Textpassage nicht zitiert (stattdessen Abbildungen aus dem 16. Jh. geliefert, die zur entscheidenden Frage nichts beitragen). :rolleyes:

Daß mit dem Niedergang Roms auch bestimmte Gebräuche wie das Rauchen in Europa ausstarben, so daß Kolumbus nichts mehr davon wissen konnte, stört mich aber nicht weiter - derartiges kommt vor; und unsere mittelalterlichen Quellen geben wenig Anhaltspunkte dazu...

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Fr 22. Jun 2007, 01:17 - Beitrag #11

Wobei...halt, ist das rauchen wirklich ausgestorben in der Zeit? Vielleicht war es immer eine Praxis Weniger, der Schamanen und Oberhäupter, die dadurch in einen anderen Geisteszustand zu gelangen suchten. Danach hätte die Praxis in abgewandelter Form fortgelebt, in Form der Räucherpraxis der Kirche.
Dies nur so nebenbei überlegt...

Bleibt zur Frage der frühzeitlichen Segelei diese ominöse Felszeichnung aus Spanien. Kann die auch als etwas anderes gedeutet werden als ausgerechnet als vorzeitliche Landkarte des atlantischen Seegebietes?


Zurück zu Natur & Reisen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste