Soran sah schon von Weitem die schwarze Flagge über Ilkmar, Dalaigas "Erste Stadt", wehen. Für wenige Augenblicke traf ihn der Schmerz unvorbereitete, hatte er doch nicht damit gerechnet, seinen Vater zu verlieren. Erst langsam setzte sich die Gewissheit durch, dass er nun König von Dalaigas war. Plötzlich musste er sich schwer zusammenreissen, um nicht laut loszulachen. ER war der neue König! Sein Vater war tot! Endlich würde ihm die Macht zur Verfügung stehen, auf die er sein ganzes Leben lang gewartet hatte. Endlich konnte er tun und lassen, was er wollte! Ein starkes, kribbelndes Gefühl druchströmte seinen Körper - MACHT! Ausgezogen war er als Königssohn, zurückgekehrt als 37. König von Dalaiga!
Er trieb sein Pferd an und gallopierte auf das hohe Stadttor zu. Man erkannte ihn früh an seiner Rüstung und so öffnete sich das Tor lange bevor er ankam. Auf dem Weg zum Palast sah er sich seine Untertanen an. Müde, abgespannte Bauern, Tagelöhner und ab und an einen ehrbaren Händler. Die, die es sich leisten konnten, trugen schwarze Kleidung als Zeichen ihrer Trauer. Soran hatte nie gewusst, wie viel sein Vater dem Volk bedeutet hatte. Er würde schon bald dafür sorgen, dass sie ihren neuen König fürchteten, nicht verehrten. Furcht war eine bessere Geissel als Bewunderung, dass kannte er vom Schlachtfeld. Als er den stickigen Raum seines Vaters betrat, in dem es schon leicht nach Verwesung roch, wurde ihm fast übel. Die Berater waren vollzählig anwesend und verneigten sich sofort, als er vor ihnen stehen blieb.
"Er ist im Schlaf gestorben, König Soran."
"Seid ihr sicher? Hat ihn jemand vergiftet?"
"Nein, er ist im Schlaf gestorben."
Soran trat näher und sah in das dunkelblau angelaufene Gesicht seines Vaters. Er wusste, welches Gift diese Erscheinungen hervorrief.
"Wirklich wahr, meine Berater. Er ist im Schlaf gestorben. Bereitet die Beerdigung und meine Krönung vor."
Alle verneigten sich und verliesen den Raum. Lef trat ein.
"Was willst Du?", blaffte Soran ihn an.
"Entschuldigt, eure Majestät, aber ich muss mit Ihnen reden."
"Was gibt es?"
"Isidor ist wieder erwacht, Herr. Er will Euch etwas sagen. Es ist wichtig."
"Ich komme gleich. Lass mich einen Augenblick mit meinem Vater allein."
"Natürlich."
Soran wartete noch, bis die Tür geschlossen wurde, dann trat er an das Bett seines Vaters und betrachtete ihn lange.
"Du liegst in meinem Bett, Vater!", stiess er hervor und riss das Laken sammt Leiche herunter. Er starrte auf den verdrehten Körper seines Vaters hinunter und brummte:
"Dort wollte ich dich schon immer haben, Vater!"
Das Wort "Vater" spuckte er förmlich aus sich heraus. Er trat ans Fenster und warf einen Blick auf sein Reich. Dann kehrten seine Gedanken zu Isidor zurück. Er hatte nich damit gerechnet, dass er überleben würde. Was wollte er wohl von ihm? Tarraja war tot. Die Sorge um sie war verloschen, auch wenn Barrassa immer noch misstrauisch war und einem Gespenst nachjagte.
|