Stille. Dunkelheit. Nur das Geräusch des Wassers, das an das Boot schlug. Sonst nichts. Ibeth lag mit offenen Augen in dem harten Bett und ihre Hände ruhten still auf dem Buch, dass auf ihrem Bauch lag. Immernoch Stille. Sie schloss die Augen und öffnete die Lippen einen Spalt. Leise sog sie die Luft ein und hielt ihren Atem danach kurz an. Doch dann hörte sie ein Geräusch. Es schien wegen der ständigen Stille noch lauter, als es tatsächlich war: Ein Schlüssel wurde umgedreht. Die Magierin schreckte hoch und starrte in die Dunkelheit. Jemand hatte von hier drinnen zugesperrt. Schritte näherten sich ihr und Ibeth legte das Buch zur Seite.
"Du musst keine Angst haben..", sagte eine männliche Stimme.
"Ja ja, das sagen alle.", erwiederte sie und zündete eine kleine Kerze an. Das Licht erhellte in wenigen Sekunden den ganzen kleinen Raum.
Da sah sie ihn.
Niemand anderen als ihn. Ihn, der totgeglaubte Herr. Ihr Erschaffer. Raeth. Ihre Hand zitterte. Tränen traten ihr in die Augen. Tränen aus purem Blut. Sie tropften auf das schneeweiße Bettlacken, doch es störte niemanden.
"Nein..", stieß sie mit zitternder Stimme hervor und hielt sich die Hand vor den Mund. "Nein.."
Raeth sah sie an, mit seinen dunklen Augen und er lächelte - typisch... "Doch, doch.", sagte er leise. "Ich war gerade in der Gegend, traf Ashkan gedankenverloren herumspazieren und fragte ihn, wo du seist. Er sagte, auf dem Schiff. Und nun, hier bin ich. Hast du mich vermisst, mein kind?"
Ibeth schluchzte laut auf und fiel ihm um den Hals. Sie drückte ihren Kopf an seine Schulter und drückte ihn so fest sie konnte. Ihre Tränen sickerten in sein braunes Hemd. Und dann spürte sie seine kalte Hand auf ihrem Kopf, wie er ihr über das Haar strich.
"Ich habe Euch mehr vermisst, als irgendeinen anderen, Vater..", weinte sie und schloss die Augen. "So lange habe ich nach Euch gesucht.. Habe mich sovielen Gruppen angeschlossen, in der Hoffnung, Euch zu sehen.. Nur für einen Augenblick.."
Raeth starrte gedankenverloren an die Holzwand und nickte. Seine Hand fuhr immer wieder über ihr weiches und glattes Haar, immer und immer wieder. Wie gut sie roch... Wie damals.
"Ihr dürft nicht wieder gehen, nie wieder, mein Herr!", flehte Ibeth und sah ihn an. "Nie wieder.", wiederholte sie leise. Doch dieser Ausdruck in seinen Augen, sagte mehr, als irgendein anderes Wort: Er würde nicht bleiben. Er würde wieder gehen. Sie wieder alleine lassen. Wie immer.
Sie drückte ihn von sich weg und stand auf. Raeth starrte sie verwirrt an und wollte ihre Hand nehmen, doch sie zog sie nur weg.
"Wieso habt Ihr mich eigentlich erschaffen? Wieso? Um mich stets alleine zu lassen?! Jahrhunderte lang dachte ich, Ihr seid tot, weil ich keine Nachricht von Euch bekam. Weder ich noch irgendein anderes Mitglied der Alten! Ich hasse Euch!!", schrie sie mit Tränen in den Augen. Ja, sie hasste ihn. Er hatte sie zu diesem Monster gemacht. Er hatte ihre Familie getötet. Er hatte sie alleine gelassen. Er. "VERSCHWINDET! Und kommt nie wieder!"
Sie starrte bebend auf ihre Füße und ballte die Faust. Raeth richtete sich mit einem tiefen Seufzer auf.
"Woher habt Ihr all das Temperament, Elisabeth, damals ward ihr doch so schüchtern.. Nun denn, ich gehe.", flüsterte er, verbeugte sich und verschwand.
Ibeth stand schweigend da. Wieder die Stille. Kein Geräusch. Nichts. Nur ihr leises weinen und winseln.
"Hör auf zu weinen!", schrie sie sich selbst an und schlug sich einmal ins Gesicht. Ein roter brennender Fleck zeichnete sich in ihrem Gesicht. Sie musste raus aus diesem Zimmer. Raus aus dem Ort, wo er gewesen war. Raus!
Stolpernd rannte sie zur Tür, sperrte auf und sah Dreigar auf der Treppe. Anscheinend hatte er auch nicht schlafen können.
Und dann, ohne etwas zu sagen, ganz leise, war sie zur Treppe gerannt und Dreigar schluchzend um den Hals gefallen...
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