AmyRoyal Member
Beiträge: 1709Registriert: 21.09.2003
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Mir fiel auf, dass ich Szene, in denen Mütter ihre Kinder verlieren, meist sehr tragisch und furchtbar traurig finde. Und dann kam das zu stande.
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Elle saß auf der Bank im Park. Es hatte mittlerweile zu Regnen begonnen, obwohl vorhin strahlender Sonnenschein war. Das Wetter tat was es wollte. Vielleicht war es auch gut so. Der warme Regen tropfte von ihrem Kinn und den Haarspitzen. Sie sah aus wie eine der Frauen, die auf alten Gemälden immer zu sehen waren. Dennoch unterschied sie etwas, was die Gemäldefrauen nicht besaßen: Ein Kind in sich. Sie legte ihre kalte Hand auf den dickeren Bauch und spürte das Leben darin. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren schmalen Lippen, wurde zu einem Lachen. Ja, sie lachte auf, sah erst zu Boden und dann in den Himmel. Der Regen tropfte ihr ins Gesicht. Sie blinzelte, fuhr sich mit der anderen Hand über das Gesicht und entfernte die Regentropfen. Nicht einmal im Traum hatte sie daran gedacht, ihre rechte Hand von dem Bauch zu nehmen. Sie erwartete eine Tochter. Eine gesunde Tochter. Sie würde wahrscheinlich Louis heißen. Das war der Name von Elles Schwester, die man mit zehn Jahren im Ausland verschleppt und verkauft hat. Erst als sie tot war, wurde sie von der Polizei gefunden. Aber da war es eben auch schon zu spät. Elle lehnte sich zurück, atmete tief ein und sah dem Mann zu, wie er nun schon das siebte Mal um den See lief. Und als er bei ihr vorbeikam und bemerkte, dass sie ihn anblickte, warf er ihr ein freundliches „Meinen Glückwunsch“ zu. Elle runzelte die Stirn und begriff anfangs nicht, was er meinte. Aber dann fiel ihr Blick auf ihren Bauch, deutete mit dem Zeigefinger auf ihn und lachte. Ein helles und liebes Lachen war es. Es hörte zur Regnen auf und die Sonne tauchte alles in ein warmes Licht.
Der Jogger blieb stehen, wischte sich den Schweiß mit einem Handtuch, dass er sich um den Hals gehängt hatte, ab und setzte sich neben Elle.
„Vielen Dank.“, sagte sie leise und nickte, als sei es eine Bestätigung, dass sie froh über seine Glückwünsche war, immerhin war er ein Fremder. Und man freute sich mehr über die Glückwünsche eines Fremden, als über die eines Freundes.
„Wird es ein Mädchen oder ein Junge, wenn ich fragen darf?“, sagte er stotternd und stützte sich mit den Ellenbogen auf die Knie. Ein dunkler Schweißfleck hatte sich auf seinem blauen T-Shirt gebildet. Und anstatt vielleicht angewidert zu sein, kam sie sich geborgen vor, als er neben ihr saß.
„Ein Mädchen. Sie wird Louis Madeleine heißen.“, murmelte Elle stolz und strich sich eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht. Dann kehrte Schweigen ein. Der Jogger blickte zum See und beobachtete die Enten, die darauf landeten und den Kopf unter Wasser tauchten. Er genoss den kühlen Wind, der ihm durch das Haar fuhr und genoss zu sitzen. Doch Elle war es unangenehm, so still neben ihm zu sitzen. Daher brach auch sie die Stille.
„Es wird bald soweit sein. Eine Woche vielleicht noch. Es kann aber auch gut möglich sein, dass die Kleine früher rauswill.“ Ein liebevolles Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen. Das Lächeln einer Frau, die ein Kind erwartete. Das Lächeln einer Mutter.
Der Jogger nickte, betrachtete Elle und verabschiedete sich dann. Er sagte, er müsse weiter, sonst würde es nacht werden, bis er seine zwanzig Runden hatte. Und heut Abend kam ja das Fußballspiel, das wollte er sich nicht entgehen lassen. „Passen Sie gut auf sich und das Kind auf.“, sagte er und fing wieder zu joggen an.
Als er auf der anderen Seite des Sees war, hörte er plötzlich Schreie. Schreie, die ihm Sorgen bereiteten. Er beschleunigte sein Tempo. Das waren nicht die Schreie von hungrigen Babys, das waren nicht die Schreie von spielenden Kindern. Das war der Schrei einer Frau. Im nächsten Moment fiel ein Schuss. Er blieb stehen, hörte sein Herz schlagen. Panik brach ihn ihm aus. Er sprintete los, in die Richtung, aus der, der Schuss gekommen war. Übelkeit und Trauer wuchs in ihm, als er um die Ecke bog und Elle nicht mehr auf der Bank saß. Denn sie lag auf dem Boden. Eine ältere Frau kniete neben ihr und er sah zwei schwarzgekleidete Typen den Weg entlang hasteten. Es nützte nichts, ihnen zu folgen, denn sie waren bereits im Dickicht eines kleinen Waldes verschwunden. Er schritt geschockt zu Elle. Ihr lila Kleid, mit der kleinen Schleife oberhalb des Bauches war in Blut getränkt. Die alte Frau hielt ihren Kopf in den Händen, weinte, strich Elle über die Wange. „Bitte halten Sie durch, es kommt gleich Hilfe..“, stammelte die alte Frau. Elle zuckte unkontrolliert, bewegte sich fast mechanisch. Blut rann aus ihrem Mund. „Mein ... Baby ... mein ... Baby ...“, flüsterte sie und schluckte das Blut hinunter. Krampfhaft drückte sie ihre Hände auf den Bauch und ihr Kinn zitterte.
Er stand regungslos und geschockt dort. Starrte sie von oben herab an, unfähig etwas zu tun. „Was ist passiert..“, hauchte er. Die alte Frau blickte ihn mit verquollenen Augen an. „Zwei Kerle haben mir die Handtasche geklaut, sie“(sie sah auf Elle)“wollte sie aufhalten.. Aber die haben sofort eine Pistole gezogen...“ Sie schluchzte auf sah ihn Elles Gesicht. Auch er blickte sie an. Tränen lagen in ihren Augen und das Blut, das aus ihrem Mundwinkel lief, rann ihren Hals hinab. Dann erinnerte er sich an den Moment vor ein paar Minuten, als sie ihm stolz erzählte, dass sie bald ihre Tochter in den Armen halten könnte. Und nun weinte auch er.
Als der Notarzt eintraf war Elle bereits tot. Und auch für Louis war es zu spät.
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