Zitat von e-noon:Depressiv und Arschloch schließen sich nicht aus, um es anders zu formulieren.
Meine Güte ...
Anderes Beispiel: Der Mann meiner Mutter hat sich ebenfalls umgebracht. Er hat nicht nur ihr damit großes Leid angetan, sondern auch seiner Tochter, die viel zu jung war, um wirklich eine fassbare Erinnerung von ihm behalten zu haben.
Wenn Elternteile, die - vor allem noch junge - Kinder haben, macht mich Selbstmord
besonders fassungslos. Vielleicht spielt auch in manchen Fällen ein bisschen Wut mit. Natürlich auch der Gedanke: Weiß er nicht, was er damit den Hinterbliebenen antut?
Aber eine solche Aussage, von wegen "Arschloch und depressiv schließen sich nicht aus", bringt mich wirklich auf die Palme. (Nebenbei erstaunt es mich immer mehr, wie sehr du dich teilweise verändert hast. Bei deinen Kommentaren lese ich teilweise eigentlich nur noch Maurice heraus, was damals nicht der Fall war.)
Als Außenstehende kommt so ein Satz vielleicht leicht von den Lippen, aber hast du dich schon einmal in einen depressiven, selbstmordgefährdeten Menschen versetzt?
Sie sind sich sicherlich bewusst, welchen Schmerz und welche Lücken sie hinterlassen - und leiden unter diesen Schuldgefühlen noch mehr.
So sehr sie auch davon wissen ... wenn du einen bestimmten Punkt erreichst, sind sie
nichtig. Nenn es egoistisches Verhalten, aber irgendwann blendest du das aus. Wenn du eine gewisse Grenze einer Depression erreicht hast, wo du nur noch den Tod als Ausweg siehst, wird die Stimme der Vernunft (die dich an Familie & Bekannte erinnert) ziemlich leise. Sie ist da, ja - aber leise. Und der Wunsch nach dem Tod ist lauter.
Man ist sich bewusst, was man "anstellt" und vertröstet sich mit Sätzen, wie "Die Zeit wird ihre Wunden schon heilen". Wären alle "depressiven Arschlöcher", die sich das Leben nehmen, so, wie du es beschreibst, würde es sicherlich nicht in den meisten Fällen einen Abschiedsbrief geben, in dem man sich entschuldigt. Für alles, was man den Geliebten angetan hat und mit dem Tod antut.
Nebenbei ... wenn ich mich jetzt entscheiden würde, meinem Leben ein Ende zu setzen und vor einen Zug zu springen, würde ich
nur an meine Familie denken. Ganz ehrlich: an den Lokführer - egal, welchen Schock er durchgemacht hat - würde ich keinen einzigen Gedanken verschwenden. Ich bin mir nicht sicher, habe aber mit einem Kommilitonen gesprochen, der mir erzählte, dass der Zug es gar nicht "mitbekommen" hat. Also, dass auch der Lokführer sich gar nicht wirklich bewusst gewesen wäre, dass jemand erfasst wurde - aufgrund der Geschwindigkeit des Zuges.
Und wieso sollte auch den Zuginsassen bedacht werden? Wie gesagt: ein riesiger Zug gegen einen Menschen - die Erschütterung oder ähnliches dürfte minimal sein. (Natürlich kann ich es nicht bestätigen, weil ich noch nie in einem Zug in einer solchen Situation gesessen bin.) Als Insasse bekommst du wohl gar nicht wirklich mit, was passiert ist. Bis zu dem Moment, wo der Zug eben dann hält und eine Durchsage kommt.
Sicherlich ist es erschütternd für einen Insassen, an einem Selbstmord "teilgehabt" zu haben, aber ... denkst du, deren Leben ist jetzt ruiniert? Denkst du, die quälen sich jetzt Jahre mit dem Gedanken "Oh mein Gott, ich saß im Zug, der Robert Enke getötet hat!!"?
Das sind höchstens ein paar Wochen. Einige, die scharf auf Geld sind, werden als "Zeugen" ihre Geschichten, wie sie alles erlebt haben, an alle möglichen Blätter verkaufen, das war es.
Ich sage das nur, weil ich finde, dass man sich in solch einem Fall
bitte nur auf die Familie (und Freunde, bzw. Kollegen) versteifen sollte und nicht auf Lokführer, Insassen und was weiß ich. Sonst müssen wir uns auch um den Rettungsdienst sorgen, der einen toten Mensch gesehen hat, etc.
Robert Enke wollte wohl einen schnellen und vor allem sicheren Tod - der Sprung vor den Zug war da wohl seine einzige Aussicht.
Alle anderen Varianten, die möglicherweise keine anderen Menschen betroffen hätte, wären dies nicht gewesen. (Jedenfalls fällt mir jetzt keine ein)
Und nach meinem ganzen Blabla möchte ich noch einmal betonen, dass auch ich den gewählten Freitod respektiere. So sehr ich mit seiner Frau und dem Kind auch mitleide. Aber er hat einfach keinen Ausweg mehr gesehen ...
Er hatte fast täglich psychologische Gespräche und hat allen etwas vorgespielt. Alles reines Schauspiel. Der Selbstmord war geplant und er wollte nur noch die Fassade aufrecht erhalten, bis er seine Chance sah.
Gespräche haben hier nichts geholfen ... Seine Entscheidung stand fest und er hat alle über seinen Zustand belogen.
Wenn dieser Schmerz so stark in ihm war, dass er den Tod gewählt hat, hätte ihn dieses Schauspiel - wenn er es noch länger für seine Familie aufrecht erhalten hätte - vollkommen ruiniert. Er hätte seine Frau erneut mit Leid belastet. Leid, noch bevor es zu dem endgültigen Schritt gekommen wäre.
Auch ich denke, dass der Verlust der Tochter eine Wunde bei ihm hinterlassen hat, die selbst die Zeit und auch die Adoptivtochter nicht heilen konnten.
Ehrlich gesagt denke ich, dass er vor seinem Tod auch beim Grab seiner Tochter gewesen war und dort fest entschlossen hat, dass er ihr folgen will ... Immerhin ist der Unfallsort nur 200 m von dem Friedhof entfernt.
Bei einem Gespräch mit meiner Mutter vorhin meinte sie, dass sie denke, dass ihn die Angst, man könnte ihm die Adoptivtochter nehmen, wenn die Sache mit den Depressionen ans Licht käme, in den Freitod getrieben hat. Das glaube ich aber nicht. Seine Frau hat zwar diese Angst ebenfalls in der Konferenz geäußert, aber ... ich weiß nicht, ob es wirklich jemals so weit gekommen wäre. Zwar kenne ich mich in dem Bereich nicht aus, aber entreißt man ein Kind der Familie bereits, wenn nur ein Elternteil depressiv ist ...? Da hätte es doch sicherlich Abhilfe gegeben, z.B. Kindermädchen und andere Unterstützung. Vielleicht auch nicht, da kenne ich mich nicht aus. Aber wieso sollte man einem - durch den Sport gewordenen - prominenten Paar das Kind nehmen, nur weil der Vater Depressionen hat? Hm.
Ich schließe mich bei diesen Vermutungen eher Traitor an.
Gleichzeitig kann ich mir den Schmerz vorstellen, wenn man über den Verlust der eigenen Tochter
doch nicht hinweggetröstet wird, sondern vielleicht sogar jeden Tag wieder daran erinnert wird. Würde ich ein Kind verlieren, sähe ich wohl in jedem anderen Kind das meine. Jedes fremde Kindergesicht würde die Erinnerung wieder aufwirbeln und der Wunde somit keine Chance geben, zu verheilen.
Ach, ich mache jetzt Schluss ... irgendwie habe ich das Gefühl, ich drehe mich im Kreis. Und sicherlich vernichtet Sarah meinen Kommentar sowieso, von daher ...