IpsissimusDämmerung
Beiträge: 10251Registriert: 29.10.2004
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es gibt da diese Episode über Adorno, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück nach Deutschland eilte, um den neuen deutschen Komponisten die Kunde von der Zwölftonmusik zu überbringen, die während des Dritten Reichs verboten war. Nun, er eilte und kam und hörte 1946 auf den ersten Darmstädter Ferienkursen und den ersten Donaueschinger Tagen für Neue Musik nach dem 2. Weltkrieg, dass er etwa 15 Jahre zu spät kam. Es gab auf diesen Musikfestivals nämlich neben einigen arrivierten auch völlig unbekannte, neue Komponisten, die wie die Arrivierten keine Kunde von der Zwölftonmusik benötigten, allerdings nicht, weil sie in jener Musiksprache komponieren würden, vielmehr wäre die Zwölftonmusik für sie ein eindeutiger ästhetischer Rückschritt gewesen. Und Adorno brauchte nicht mehr als diese paar Konzerte dieser Exoten, um sich zum profiliertesten Apologeten der Musik des "Projekts Moderne" zu entwickeln.
Das nur nebenbei. Das Augenmerk der avantgardisten Komponisten nach dem 2. Weltkrieg lag nicht auf dem Ausdrucksgehalt ihrer Musik. Wer expressionistische Musik hören wollte, für den gab es die Russen, Ravel, Bartok, Strawinsky und andere. Die Avantgarde konzentrierte sich auf das musikalische Material. Der Grund dafür lag vor allem darin, dass es - genau wie Adorno befürchtet hatte - keine Informationen über die Musik Schönbergs, Bergs und Weberns gab. Das führte aber nicht dazu, dass die neuen Komponisten im Stile Mahlers weitergemacht hätten. Vor allem am neuen elektronischen Studio des WDR in Köln sammelten sich junge Komponisten, die entlang der Erforschung der neuen elektronischen Klangmittel auch komplett neue Wege der Materialaufbereitung und letztlich der ästhetischen Theorie gingen. Tonband, Sinustongeneratoren und Lautsprecher waren die Instrumente, mit denen diese Komponisten umgingen, nicht aber die Instrumente, die sie irgendwann einmal erlernt hatten. Sie waren zur Hälfte Techniker, denn diese Instrumente wollten erst einmal konstruiert und verstanden, danach in ihren ästhetischen Möglichkeiten erforscht werden. Entlang dieser Erforschung entstand die serielle Musik, die dann erst in einem zweiten Schritt auf "klassische" Instrumente ausgeweitet wurde, "Gruppen" lässt grüßen. Die relevanten Komponisten dafür waren Stockhausen, Goeyvaerts, Boulez, Nono, Berio und Koenig, später im erweiterten Kreis auch Kagel, Schnebel, Ligeti und Xenakis.
Man versteht diese Komponisten und ihre Musik nicht, wenn man sich nicht grundlegend mit den ästhetischen Positionen des "Projekt: Moderne" auseinandersetzt, die in Teilen - gewichtigen Teilen - auch politische Positionen waren. In gewisser Weise ist das Folge einer gewissen Naivität dieser Komponisten. Koenig, mit dem ich eine Zeitlang befreundet war, sagte mir mal sinngemäß, dass er nicht wisse, was ein normaler Hörer höre, wenn er serieller Musik lauscht. Er, Koenig, habe sich in aller Bescheidenheit eine professoinelle Hörkompetenz angeeignet und höre daher auch alle die mikrotonalen und rhythmischen Kleinstrukturen. Genau das, die enorm schwierige hörende Durchdringung ihrer Strukturen, macht der seriellen Musik bis heute zu schaffen und bewirkt, dass sie kaum über esoterische Fachleute-Zirkel hinaus gelangt ist.
Ich kann nur sagen, es lohnt, sich diese Hör-Kompetenz anzueignen. Nicht nur strafft sie das Gehör auch für die hörende Durchdringung "normaler" Musik - es wird danach nie mehr möglich sein, in die banale Behaglichkeit eines rein konsumierenden Hörens zurück zu fallen - auch erschließt sich die Schönheit der seriellen und anderer dem Projekt Moderne verpflichteter Musik in ungeahnter Weise. Denn bei aller ästhetischen Legitimierung, diese Musik ist in erster Linie doch Musik, extrem komplexe Musik. Es ist möglich, diese Komplexität hörend zu erschließen, aber es bedarf langjähriger Hörpraxis mit begleitender intellektueller Erschließung - ein nicht notwendiger, aber überaus lohnender Weg.
Zu Stockhausen noch eine Anmerkung: ich habe nicht deswegen aufgehört, ihn zu hören, weil ich seine Musik für schwierig oder unattraktiv fände. Nur hat er einen Weg eingeschlagen, dem zu folgen ich nicht mehr bereit bin. Das Schlimme an seiner Musik etwa seit 1970 ist nicht die musikalische Sprache, die er sich und anderen erschlossen hat, sondern deren größenwahnsinnige ideologische - und eben nicht mehr ästhetische - Fundierung. Wie Lykurg in dem Thread über Opern sagte, Stockhausens Zyklus aus Licht ist eines der stärksten Argumente für ein uminterpretierendes Musiktheater. Ich ergänze: nicht nur der Zyklus aus Licht für das Musiktheater, sondern des Meisters gesamte Musik seit den frühen 70ern für jede Konzertbeilage.
/edit die Bemerkung bezüglich der Sinustongeneratoren als Instrumente kommt sehr harmlos daher, ist jedoch für die neue Musik von dramatischer Wichtigkeit. Wir wissen ja, dass der Ton herkömmlicher Instrumente tatsächlich ein Klang ist, bedingt durch das Obertonspektrum, das jedem Instrument in spezifischer Weise zu eigen ist. Mit dem Klang der Instrumente ist früher nur selten komponiert worden. Es gab natürlich bei den Streichern die Möglichkeit, mal näher am Steg zu spielen, mal weiter entfernt, oder bei den Orgeln konnten verschiedene Register gezogen werden, u.a.. All das waren aber immer natürlich gegebene Klangmöglichkeiten, deren gelegentliche Verfremdung den Rahmen des Instruments nie sprengte.
Sinustongeneratoren erzeugen keine Klänge sondern echte Töne. Die Klangfarbe, die bei Instrumenten automatisch entsteht, muss durch Sinustongeneratoren erst erzeugt werden. Diese Komponisten sind tatsächlich hingegangen, haben unterschiedlich hohe Sinustöne per Mikro auf Tonband aufgenommen und dann Selektionen dieser Sinustöne auf mehreren Tonbandgeräten - pro Tonband ein Sinuston - gleichzeitig gespielt und diesen Klang wiederum auf Mikro aufgenommen. Und damit lag es nahe, mit den Möglichkeiten ein bisschen zu spielen^^
Und in Folge dieses Spielens mit den Möglichkeiten geriet der Klang selbst zum Gegenstand des kompositorischen Prozesses, wurde echter Parameter der Komposition. Das ist der eigentliche Unterschied zwischen der seriellen und aller anderen Musik.
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