Jonathan Littell
Die Wohlgesinnten
Les Bienveillantes, éditions Gallimard, 2006 (französisches Original)
gelesene Ausgabe: Die Wohlgesinnten, Berlin-Verlag, 2008
Hinweis: Dieses Buch sollte nur von psychisch stabilen Menschen gelesen werden. Alle LeserInnen setzen sich der Ungeheuerlichkeit aus.
Gegenstand des Romans ist der Russlandfeldzug der Deutschen Wehrmacht im 2ten Weltkieg, beginnend mit der Überschreitung der polnisch-russischen Grenze durch die Wehrmacht bis zur Einnahme Berlins durch die Rote Armee. Die Geschichte hält sich auf ihren über 1400 Seiten bis in kleinste Details sehr genau an historisch belegte Sachverhalte, lässt diese aber in die Ich-Erzählung des fiktiven Offiziers des deutschen Sicherheitsdienstes Max von Aue einfließen.
Der Roman zeichnet sich durch drei wesentliche Umstände aus: die Erzählung erfolgt ausschließlich aus Täterperspektive unter völligem Ausschluss der Opferperspektive, sie verzichtet vollständig auf eine Verflechtung der Geschehnisse mit moralischen Bewertungen und sie erfolgt in einer fotorealistisch anmutenden Weise.
Hier erzählt ein Nationalsozialist, der völlig von der Notwendigkeit der Ausrottung von Juden, Zigeunern, psychisch Kranken und Bolschewiken durchdrungen ist, anderen befreundeten Nationalsozialisten in äußerst freimütiger Weise von der Vorgehensweise der Wehrmacht und der SS; man ist unter sich, es besteht keine Notwendigkeit, irgendetwas zu beschönigen oder in ein anderes Licht zu stellen. Von Aue ist sich zutiefst bewusst, dass von ihm und den anderen Offizieren des SD und der SS Unmenschlichkeit verlangt wird, er ist bereit, sich diesen Befehlen zu stellen und ihre Notwendigkeit mit zu tragen, auch da, wo er sie als unangenehme Aufgabe empfindet.
So erzählt er vor allem von all den alltäglichen Schwierigkeiten der Pflichterfüllung, von psychischen Problemen der Männer der Erschießungskommandos, von Offizieren, die Schwierigkeiten mit ihrem Selbstbild bekommen, vom Leben in der Etappe, vom allmählichen Abrücken von den Erschießungen hin zu Entwicklung der Vernichtungslager, Details des Kriegs gegen die Zivilbevölkerung in der russisch-ukrainischen Ebene und schließlich von der Wendung des Kriegsgeschehens.
Es ist ein endloser Strom von Grausamkeiten, im Kleinen wie im Großen, im äußeren Geschehen und in den inneren Reflektionen Aues, die jene Grausamkeiten begleiten. Aue ist kein genuin grausamer Mensch, er reflektiert vieles kritisch, wenn auch immer unter dem Vorbehalt, dass nichts ihn von der Pflichterfüllung abbringen kann. So kategorisiert er seine Mitoffiziere: es gibt die Schlächter, die aus Lust am Blutbad und an Folterungen töten, es gibt die Künstler, für die das Töten ein besonderes Handwerk ist, das zu Perfektion gebracht werden muss und es gibt diejenigen, für die das alle eine unangenehme Pflicht ist. Er selbst ordnet sich nirgends ein, er ist für sich selbst verloren gegangen. Das hindert ihn aber im späteren Verlauf nicht, im Einklang mit den Erfordernissen seines Selbsterhaltungstriebes Taten zu begehen, für die ein Splatterfilmautor wegen fehlendem Realismus ausgelacht würde. Es besteht kein Zweifel, dass derartige Taten begangen wurden.
Das Buch ist die Geschichte eines gigantischen Entgleisungsprozesses; mehr oder weniger alle erwähnten Personen beginnen als Menschen wie alle Menschen und enden in der vollkommenen Auflösung ihrer persönlichen Integrität in absoluter Bösartigkeit. Das gilt nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die ukrainischen und sonstigen Hilfstruppen.
Das Buch erzählt eine Geschichte, die wahrer ist als die Wahrheit, im besten und im fürchterlichsten Sinne. Und gerade der Verzicht auf moralische Wertungen erzwingt eine persönliche Positionierung des Lesenden.
Empfehlung: Schulpflichtlektüre in der 13ten Klasse anhand kommentierter Auszüge. Später persönliche Pflichtlektüre für jeden. Der Warnhinweis am Anfang ist nicht als Scherz gedacht.