Die Befreiung des Mannes, nur eine Angelegenheit der islamis

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janw
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Do 14. Aug 2008, 00:07 - Beitrag #1

Die Befreiung des Mannes, nur eine Angelegenheit der islamis

Zitat von Lykurg:Necla Kelek: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes (2006)
Die Studie zeigt sehr deutlich, was schief läuft hinsichtlich der Integration (diesmal auf die männliche Hälfte bezogen)

Lykurg hat dieses Buch im wblig-thread vorgestellt, und mir stellt sich bei grobem Hinsehen eine Frage, der ich einmal nachgehen möchte.
Die Frage, die sich mir stellt, ist die, ob mensch wirklich von einer spezifisch problematischen Rolle des Mannes in der türkisch-islamischen Gesellschaft sprechen kann, oder ob dies nicht eine Angelegenheit ist, die in der Vergangenheit, mit Nachwirkungen bis heute, auch in den mitteleuropäischen Gesellschaften bestanden hat.
Die türkisch-islamische Gesellschaft ist streng patriarchalisch organisiert, die Sphäre des Mannes ist die Öffentlichkeit, er vertritt die Familie nach außen und regelt alle die Familie betreffenden Angelegenheiten. Demgegenüber ist die Rolle der Frau auf den Haushalt beschränkt, die Aufzucht der Kinder und die Ordnung des Haushaltes sind ihre Aufgaben, und dafür wird sie vielfachen Äußerungen zufolge allgemein geachtet und geschätzt.
Dementsprechend werden Jungen früh auf ihre führende Rolle hin vorbereitet, während Mädchen zu Folgsamkeit gegenüber den männlichen Familienangehörigen gegenüber angehalten und in haushaltlichen Fertigkeiten ausgebildet werden.
Die sich ergebenden Probleme in unserer Gesellschaft resultieren nun dem gängigen Modell zufolge vielfach aus sprachlichen Verständigungsproblemen, die zu frühzeitigen Schwierigkeiten in der Schule führen, was durch Verhaltensdifferenzen zu den deutschen Jugendlichen, die nicht verstanden werden - von beiden Seiten! - verstärkt wird und in der Summe zu schulischem und sozialem Versagen und Ausgrenzung führt, dann zu verstärkter interner Gruppenbildung und zunehmender Aggressivität - die Angelegenheit ist hinlänglich beschrieben.
Nun fällt aber auf, daß die Mädchen, trotz gleicher sprachlicher und kultureller Hürden, im Vergleich schulisch deutlich besser abschneiden und sich auch sozial besser integrieren, wenn sie nicht familiär daran gehindert werden.
Hier sehe ich nun eine Parallele zur Entwicklung des Männerbildes in Mitteleuropa und den Aggresssionen, die jahrhundertelang von diesen Männern ausgegangen sind.
Auch der mitteleuropäische Mann ist über Jahrhunderte auf eine Führungsrolle in der Familie hin erzogen worden, Eigenschaften wie Stärke, Leistungswille, Kampfbereitschaft sind zu männlichen Eigenschaften stilisiert worden - und wenn man die Werbung und den Sport betrachtet und damit befasste Beiträge auch in seriöseren Medien, sind diese Vorstellungen nach wie vor in den Köpfen, aber IMHO glücklicherweise weit weniger den Einzelnen prägend als in früheren Zeiten. Ist nicht vielleicht die starke Betonung der Dominanz des Mannes als Führungsperson wesentliche Ursache für die Gewaltausbrüche der mitteleuropäischen Gesellschaften gegen andere Gesellschaften, ganz unabhängig von der Frage Christentum vs Islam?
Welche Folgerungen ergeben sich daraus für die Erziehung von Jungen?

Lykurg
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Do 14. Aug 2008, 01:58 - Beitrag #2

Aus der Darstellung von Necla Kelek wären hier noch einige Punkte zu ergänzen, die doch eher spezifisch für muslimische Männer gelten als für christliche. Wesentlich ist die strenge Geschlechtertrennung: Jungen haben ab dem Zeitpunkt ihrer Beschneidung (die im Alter etwa von drei bis acht Jahren vorgenommen wird) im Haus nichts mehr zu suchen; sie sind oft nur noch zum Essen und Schlafen dort, da das Haus die Sphäre der Frau ist. Dementsprechend befinden sie sich meist auf der Straße. In der traditionellen türkischen Dorfgesellschaft hatten sie dann die Gelegenheit, von ihren Brüdern und älteren Verwandten zum Viehhüten oder sonstigen Tätigkeiten angeleitet zu werden; da das in europäischen Großstädten wegfällt, hängen sie zusammen herum, wissen nicht, was sie tun sollen, bilden Gangs, pöbeln frei herumlaufende Mädchen an, machen Unsinn oder stiften sich schlimmstenfalls gegenseitig zu Straftaten an.

Da Mädchen früh zur Hausarbeit eingeteilt werden (je nach der Einstellung ihrer Familie oftmals ohne Rücksicht auf ihre Schullaufbahn - Wieso etwas lernen? Mit 16 verheiraten wir dich in die Türkei!) und das Haus im 'Idealfall' kaum verlassen, haben sie keinen Einblick in die Erziehung ihrer Brüder und können dementsprechend auch später ihren Söhnen nichts vermitteln. Entsprechend der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur haben sie kaum Einfluß auf ihre Söhne, die von kleinst auf dazu erzogen werden, ihre Schwestern als minderwertig zu verachten, sie zu beherrschen und zu 'beschützen'.

Die vielfachen Gründe männlicher Aggression aufzuführen, würde ziemlich weit führen; Kelek führt vieles auf die gnadenlose Ehrenvorstellung - "Respekt" - zurück; eine Maxime wie "der Klügere gibt nach" etwa wäre nicht vermittelbar bzw. würde als Witz angesehen, stattdessen das Leben als Abfolge von zu bestehenden Konflikten gesehen, stets um die eigene Ehre und die der Familie zu wahren. Kelek hat mit einer größeren Anzahl von muslimischen Strafgefangenen gesprochen, die in vielen Fällen meinten, sie hätten alles richtig gemacht, ihr Vater könne stolz auf sie sein. -

Daß vor diesem Hintergrund die von Anfang an auf Flexibilität (~nachgeben) und hartes Arbeiten getrimmten Mädchen sich, wenn ihnen die Gelegenheit dazu gelassen wird (in vielen Fällen hat das Elternhaus allerdings kein Verständnis für solche Pläne) schulisch weit besser entwickeln können, überrascht nicht weiter, sind derartig unterschiedliche Verhaltensmuster doch schon bei Kindern "ohne Migrationshintergrund" deutlich sichtbar.

Kelek weist immer wieder darauf hin, daß sie Negativdarstellung betreibt; es natürlich viele positive Gegenbeispiele gibt, an denen man sich nur freuen kann - und hoffen, daß es sie weiterhin gibt und sie nicht durch die massive Fundamentalisierung wie in den letzten Jahren verschwinden.

Maglor
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Mi 27. Dez 2017, 15:01 - Beitrag #3

Ich habe jetzt auch Keleks Buch gelesen und bin ziemlich enttäuscht.
Ich hatte gehofft, dass sie endlich mal erklärt, was dieser Ehrbegriff Namus bedeutet, aber das Wort kommt noch nicht mal in dem Buch vor.
Interessiert hätten mich auch die Ursprünge des türkischen Beschneidungsritus, der sich in vielen Punkten (insbesondere das Alter der Knaben) vom Rest der islamischen Welt unterscheidet. Aber auch darauf gab es keine Antwort.

Sie zeichnet ein Zerrbild einer islamisch-türkischen Landbevölkerung Anatoliens. Leider fehlt der Vergleich zu den Jesiden und Aramäer Anatoliens, ebenso wie der zu einer liberalen türkischen Großstadtbevölkerung, deren Existenz Kelek gelegentlich andeutet.

Die Interview mit Strafgefangenen sind zwar interessant, lassen sich aber leicht darauf reduzieren, dass die Kriminellen eine schwere Kindheit haben. Eine Interepretation findet aber leider gar nicht statt.
Ihre sehr weit reichenden Schlüsse basieren vor allem auf der eigenen Familiengeschichte. (Zum Teil bezeichnet sie einzelne Bräuche auch als speziell tscherkessisch.) Das eigentliche Thema sind nicht die verlorenen Söhne, sondern die eine verlorene Tochter.
Immer wieder werden neue Anedekdoten aufgetischt und aneinandergereiht. Auf wissenschaftliche Methodik wird natürlich verzichtet. Regelrecht peinlich ist ihr Argumenation, der Islam sei die falsche Version des Christentums. Als Kronzeugen benennt sie ausgerechnet Max Webers und natürlich Jesus Christus. Dass Max Webers Deutungen der islamischen Kultur auf vielerleiweise eine orientalistische Projektionsfläche des Kolonialzeitalters sind, stört sie offenbar überhaupt nicht.
Noch peinlicher ist ihre Auseinandersetzung mit griechischen Göttinnen. So wählt sie Pallas Athene zu ihrem esoterischen Totem. Hätte sie sich mal mit der griechischen Mythologie auseinandergesetzt und nicht nur mit feministischer Esoterik, wüsste sie natürlich, warum es bei den alten Griechen wirklich geht: Brautentführung, Rettichstrafe, Ehrenmord usw. :crazy:

Und Kelek geht es nur um die dumme Frage Christentum vs. Islam, Deutschland vs. Türkei. Darüber hinaus bietet sie nichts.
Wie absurd ihre Argumentation ist, zeigt ihr Umgang mit einen Zitat von Nelson Mandela. Die Boshaftigt der islamischen Beschneidung wird mit Mandelas Beschreibung seiner Beschneidung untermalt. Kelek verschweigt natürlich, dass diese Beschneidung in die christliche Kultur der Xhosa in Südafrika eingebetet ist und mit dem Islam oder der Türkei Null-Komma-Nichts zu tun.

Das Buch war natürliche keine verschwendete Lebenszeit. Immerhin weiß ich jetzt, wie Keleks Beiträge in öffentlichen Debatten einzuordnen habe. ;)

Ipsissimus
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Fr 29. Dez 2017, 20:50 - Beitrag #4

seltsam, wie sich die Diskussion geändert hat^^ nicht mehr muslimische Männer sind das Problem, sondern Männer überhaupt ... möglicherweise waren also muslimische Männer nie das Problem^^ es sein denn, es gäbe innerhalb der generellen Verwerflichkeit namens "Mann sein" eine Unterverwerflichkeit namens "muslimischer Mann sein" seltsamerweise sind die meisten, die beides behaupten, keine muslimischen Frauen^^

Feuerkopf
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Sa 30. Dez 2017, 14:19 - Beitrag #5

Naja, nachdem jahrhundertelang Frauen immer das Übel waren, könnt ihr doch mal ein Weilchen das Kreuz übernehmen, oder? :cool:

Maglor
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Sa 30. Dez 2017, 15:42 - Beitrag #6

Ich lasse mich jetzt nicht zu einer Generalschelte gegen den Femonationalismus hinreißen. Dafür sind doch die Queer-Feminist*innen zu ständig. :crazy:

Die von Kelek "untersuchte" Gruppe der türkisch-muslimischen Straftäter war auf mehrfache Weise benachteiligt: "bildungsferne" Herkunfstfamilien, aufgewachsenen in den sozialen Brennpunkten deutscher Großstädte oder in den Semi-Bürgerkriegsgebieten Ostanatoliens, extreme Gewalterfahrung in der Familie, sogenannter "Migrationshintergrund" ... Die Reihe lässt sich fast endlos fortsetzen.

Warum jetzt die Zugehörigkeit zum Islam oder türkische Kultur so wichtig sein soll, ist offensichtlich.
Wenn ein deutscher Jugendlicher gewaltig oder kriminell wird, liegt das auch nicht daran, dass sein Großvater plündernd und brandschatzend durch Europa gezogen ist.

Zitat von janw:Auch der mitteleuropäische Mann ist über Jahrhunderte auf eine Führungsrolle in der Familie hin erzogen worden, Eigenschaften wie Stärke, Leistungswille, Kampfbereitschaft sind zu männlichen Eigenschaften stilisiert worden - und wenn man die Werbung und den Sport betrachtet und damit befasste Beiträge auch in seriöseren Medien, sind diese Vorstellungen nach wie vor in den Köpfen, aber IMHO glücklicherweise weit weniger den Einzelnen prägend als in früheren Zeiten.

Ich halte die benannten Männlichkeitsideale keineswegs für überwunden. Diese männlichen Tugenden sind wichtiger als je zu vor.
"In früheren Zeiten" waren sie weniger prägend als heute. Leistungswille und Kampfbereitschaft die Tugenden des Nationalstaates, des Kapitalismus und auch des Gangsterraps.
Dass Wehrdienstverweigerer als efeminierte Männer betrachtet wurde, ist noch gar nicht so lange her. Die Wehrpflicht gibt es nicht mehr. Der Krieg ist für die meisten Männer in Deutschland nur noch ein Spiel, das jedoch anders als in früheren Epochen auch noch nach der Mannbarkeit fortgesetzt werden kann. Der Grundsatz der westlichen Männlichkeit ist, dass sie nicht weibisch sein darf.

Vielleicht hilft auch ein Zitat von Esther Vilar zum Verständnis des Dilemmas: "Die Frauen können wählen, und das ist es, was sie den Männern so unendlich überlegen macht: Jede von ihnen hat die Wahl zwischen der Lebensform eines Mannes und der eines dummen, parasitären Luxusgeschöpfes – und so gut wie jede wählt für sich die zweite Möglichkeit. Der Mann hat diese Wahl nicht."

Maglor
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Sa 30. Dez 2017, 16:47 - Beitrag #7

Der ganze Abgrund in Keleks Welt- und Männerbild zeigt sich in ihr sodomistischer Tiefschlag.
Lamya Kaddor gegen Necla Kelek : Wen schert schon, ob das Zitat stimmt?
Zitat von Kelek:Ich sehe nach diesem Menschenbild, was der ,Islam‘ übrigens auch vorgibt, in der Erziehung, da gibt es ein Menschenbild, was konstruiert ist, die Menschen haben nicht die Fähigkeit, ihre Sexualität zu kontrollieren, und besonders der Mann nicht, der ist ständig eigentlich herausgefordert und muss auch der Sexualität nachgehen, er muss sich ,entleeren‘, heißt es, und wenn er keine Frau findet, eben dann ein Tier oder eine andere Möglichkeit, wo er dem nachgehen muss. Und das hat sich im Volk so durchgesetzt, das ist ein Konsens.

Voll krass - fast schon böhmermanneske Bösartigkeit. :crazy:

Ipsissimus
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Sa 30. Dez 2017, 18:11 - Beitrag #8

Zitat von Feuerkopf:Naja, nachdem jahrhundertelang Frauen immer das Übel waren, könnt ihr doch mal ein Weilchen das Kreuz übernehmen, oder? :cool:


und da dachte ich immer, wir Männer seien schon vom Anbeginn der Schöpfung an das Übel gewesen^^

Lykurg
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So 31. Dez 2017, 11:40 - Beitrag #9

Nun stellen wir uns mal ganz Freud: Das Übel ist das Es, die Frage dann, wer es sich einverleibt, und wer dafür die Verantwortung trägt. // Geben ist männlicher denn nehmen, also sind vor allem Frauen und Homosexuelle (bekanntlich ist nur der Bottom gay) gefährdet. // Die Sache mit der Verantwortung vergessen wir ganz schnell wieder. Und den Rest auch.

Ipsissimus
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So 31. Dez 2017, 16:47 - Beitrag #10

Zitat von Lykurg:Und den Rest auch.


Und Freud gleich mit^^

Maglor
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So 31. Dez 2017, 18:43 - Beitrag #11

Eine freudianische Deutung ihres Verhaltens will doch niemand hören. ;)
Ordnen wir Necla Kelek lieber dort ein, wo sie sich selbst eingereiht hat - zwischen Alice Schwarzer und Thilo Sarrazin.

e-noon
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Di 16. Jan 2018, 13:04 - Beitrag #12

Vielleicht hilft auch ein Zitat von Esther Vilar zum Verständnis des Dilemmas: "Die Frauen können wählen, und das ist es, was sie den Männern so unendlich überlegen macht: Jede von ihnen hat die Wahl zwischen der Lebensform eines Mannes und der eines dummen, parasitären Luxusgeschöpfes – und so gut wie jede wählt für sich die zweite Möglichkeit. Der Mann hat diese Wahl nicht."


Gibt es solche Debatten und Schwachsinnszitate eigentlich auch außerhalb des Internets? In meinem Umfeld begegnet mir so etwas so gut wie nie (von einigen, extrem wenigen sexistischen Schülern mal abgesehen).

Ipsissimus
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Mi 17. Jan 2018, 02:04 - Beitrag #13

Esther Vilar ist wegen derartiger Aussagen schon unendlich oft gescholten worden, nicht zuletzt von Alice Schwarzer; sie wurde wegen ihrer Thesen auch körperlich attackiert, z.B. wurde sie in München von vier jungen Frauen zusammengeschlagen, was letztlich zu ihrer Emigration aus Deutschland führte.

Um diese von dir zitierte Passage angemessen zu würdigen, muss man m.E. beachten, dass das eigentliche Thema Vilars das Verhältnis zwischen Freiheit und Unfreiheit oder innerer Gebundenheit war, und dass die Positionierung gegen den damals zu einem ersten Einflusshöhepunkt aufstrebenden Feminismus Schwarzerscher Färbung exemplarischen Charakter hatte und sich vor allem aus einem, na, heute würde man vielleicht sagen neoliberalen Grundverständnis speiste. Vilar ist keine Linke, nie gewesen, wollte nie eine sein, und hat ein einschlägiges Verständnis von Eigenverantwortung. Wenn sie Feministin ist, dann eher im Sinne von Merkel, also als eine selbstverständlich freie, zur Macht fähige und Macht wollende Frau, die sich den ganzen Mist des Feminismus, der von der gebundenen Situation der Frau ausgeht, nicht antun muss. Nebenbei war es für den Feminismus ein überaus langer Weg, ehe wichtige Protagonistinnen einsahen, dass der Feminismus Schwarzerscher Provenienz Frauen in ihrem Opferstatus bestätigt, denn wenn er sagt, dass es gilt, diesen Status zu überwinden, was sagt er dann anderes, als dass Frauen Opfer sind. Das möchten sich die meisten Mädels dann wohl auch nicht so gerne sagen lassen^^

Und ja, es gibt das auch außerhalb des Internets^^ sogar ziemlich häufig, und sogar ziemlich häufig von erfolgreichen Frauen vertreten.

Mir ist Vilar zu hart in ihrer Ignoranz gegenüber den Auswirkungen struktureller Machtverhältnisse; das kann sie sich nur erlauben, weil sie reich ist. Aber sie formuliert etwas, was ich auch oft denke, etwas in der Art "Mädels, ihr müsst euch schon entscheiden, ob ihr euch selbst als Opfer auffassen wollt, oder als Gestalterinnen eures Schicksals, und diese Entscheidung muss dann lebenspraktische Konsequenzen haben, wenn sie nicht belanglos bleiben soll."

Maglor
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Mi 17. Jan 2018, 14:08 - Beitrag #14

Ich halte einzelne Aspekte des Zitats für ziemlich modern oder sogar ihrer Zeit voraus, immerhin unterscheidet Vilar zwischen dem sozialen Geschlecht (gender) und biologischem Geschlecht (sex). Ich habe ihr Buch "Der dressierte Mann" (1971) zumindest teilweise gelesen bzw. vollständig überflogen. Die Rolle der Frau, die sie beschreibt, ist natürlich auch Vergangenheit. Sie beschreibt vielleicht den Lebensstil meiner Großmutter auf äußerst polemische Weise.
Idealtypische Verwirklichungen dieses Frauentypes - bis hin zur Karikatur - finden sich im Showbuisness bis heute - etwa als "It-Girl". Hierbei handelt es sich jedoch sogar um Vorbilder der weiblichen Jugend, denen in Casting-Shows nachgeeifert wird.
Mag die Frau inzwischen weitgehend befreit sind, so bleibt der Mann weiterhin dressiert. Männer in Frauenberufen, Hausmänner oder alleineziehende Väter bleiben weiterhin geächtet, während Frauen in Männerollen allgemein akzeptiert bzw. gefördert werden. Interessant wäre noch, ob sich die Formen der Stigmatisierung abweichender Männlichkeit ver- oder entschärft hat.

Im Kontext der 60er/70er sticht Vilar natürlich heraus, weil sie eine Gegendarstellung zum stärkeren Flügel eines radikal männerfeindlichen Feminismus konstruiert. Die Radikalität von Valerie Solanas "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer, SCUM" (1969) erreicht Vilar allerdings bei weitem nicht.

Zitat von Ipsissimus:Esther Vilar ist wegen derartiger Aussagen schon unendlich oft gescholten worden, nicht zuletzt von Alice Schwarzer; sie wurde wegen ihrer Thesen auch körperlich attackiert, z.B. wurde sie in München von vier jungen Frauen zusammengeschlagen, was letztlich zu ihrer Emigration aus Deutschland führte.

Erfolgreich wurde so eine Gegnerin ausgeschaltet. Es gehört zum Wesen totalitärer Bewegungen, dass sie sogenannte "Verräterinnen" immer am schlimmsten behandeln.

Als ein großes Stück Fernsehgeschichte ist das Fernsehduell zwischen Esther Vilar und Alice Schwarzer, dass bei Youtube auch noch einsehbar ist. Bewundertswert ist, dass sich Vilar von den Verbalangriffen Schwarzers (bis zur Rechtfertigung von Gewalt) nicht aus der Fassung bringen lässt.

Feuerkopf
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Mi 17. Jan 2018, 15:09 - Beitrag #15

Mir fehlt hier immer die Perspektive der Männer. Warum kommt da so oft ein "Mimimi - aber die Jungs/aber die Männer..."?
Warum tun viele Männer sich so schwer mit den geänderten Lebensumständen, in denen Frauen ihren Anteil fordern und inzwischen vielfach auch bekommen?
Da wird oft noch ein Männerbild gepflegt, das im 19. Jahrhundert schon nicht mehr stimmig war.
Wenn Männer etwas für die Jungen wollen, dann sollen sie Erzieher und Lehrer werden und wieder aktiv Einfluss nehmen. Erstaunlicherweise hatte ich in den 1960ern noch junge Lehrer an der Grundschule - heute fast eine Ausnahme. Erster Schritt könnte sein, diese Jobs besser zu bezahlen, damit sie attraktiver werden.

Esther Vilar fand ich nicht schlüssig. Wenn wir Frauen die Männer so dressierten - und ich beziehe mich jetzt auf die 1970er - warum gab es dann damals dermaßen restriktive Gesetze gegenüber Frauen? Es hätte für die Dompteusen doch ein Leichtes sein müssen, die Papiertiger zu entsprechenden Änderungen zu drängen. So musste die Frauenbewegung, Alice sei Dank, für die Geschlechteranpassung auf Gesetzesebene sorgen.

Ipsissimus
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Mi 17. Jan 2018, 17:39 - Beitrag #16

Zitat von Feuerkopf:Warum tun viele Männer sich so schwer mit den geänderten Lebensumständen, in denen Frauen ihren Anteil fordern und inzwischen vielfach auch bekommen?


Tun sie doch gar nicht. Den meisten Männern ist schlichtweg egal, was da als letzter Schrei der Zivilisationsentwicklung in den Medien behauptet wird.

e-noon
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Mi 17. Jan 2018, 21:05 - Beitrag #17

Männer in Frauenberufen, Hausmänner oder alleineziehende Väter bleiben weiterhin geächtet, während Frauen in Männerollen allgemein akzeptiert bzw. gefördert werden
.
Wo werden die denn bitte 'geächtet'? Eher werden sie doch mit Lob überhäuft, sobald sie nur annähernd 50% der Pflege der eigenen Brut übernehmen (was weiterhin kaum ein Mann tut, aber immerhin mehr als früher, da auch Erziehungsurlaub üblicher wird). Und GrundschullehrER werden gehütet wie kostbare Schätze und steigen deutlich häufiger zu Schuldirektoren auf, als man es wegen ihrer Seltenheit vermuten würde. Auf ähnliche Effekte wartet man in Männer dominierten Berufen vergebens...

Maglor
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Mi 17. Jan 2018, 22:50 - Beitrag #18

Zitat von Feuerkopf:Esther Vilar fand ich nicht schlüssig. Wenn wir Frauen die Männer so dressierten - und ich beziehe mich jetzt auf die 1970er - warum gab es dann damals dermaßen restriktive Gesetze gegenüber Frauen?

Vilar beschäftigt sich vor allem mit dem informellen Verhältnis zwischen Mann und Frau. Die Gesetze und der Staat stehen nicht im Vordergrund der Abhandlung. Es wäre auch zu hinterfragen, welchen Sinn die Gesetze mal gehabt haben und ob es wirklich darum ging Frauen zu unterdrücken. Paternalismus hat zwei Seiten. Pantoffelheld und Hausdrachen gehören zusammen.
Feuerkopf, du hattest jahrelang Peggy Bundy als Avatar und kennst sich auch die Serie. Die "schrecklich nette Familie" verkörpert als Karikatur das Männer- und Frauenbild vortrefflich.

Esther Vilar steht im gleichen Verhältnis zur feministischen Bewegung wie Necla Kelek zur islamischen. Aufgrund eines genetischen Fehlschlusses könnte man annehmen, dass Necla Kelek keinen antimuslimischen Rassismus oder Esther Vilar gegen Frauenfeindlichkeit vorwerden könnte. Das ist natürlich falsch, aber da der genetische Fehlschluss oftmals für einen warhen Schluss gehalten wird, gelingt so das Kunststück, dass durch den Mund einer Betroffenen scheinbar andere Dinge (auch außerhalb des Stammtischs) ausgesprochen werden dürfen.

Esther Vilar forderte eine Aufteilung der Sorgetätigkeit, Hausarbeit und Erwerbserarbeit zwischen den Geschlechter zu jeweils 50 %. Das bedeutete im Klartext Teilzeit für alle.

Zitat von e-noon:Wo werden die denn bitte 'geächtet'?

Sie werden nicht auf der formellen Ebene geächtet, sondern auf der informellen Ebene.
Über jedem männlichen Erzieher schwebt das Damokles-Schwert des Missbrauchsverdacht.
Außerdem muss er sich damit abfinden, dass eine Partnerin, die noch immer eine Versorgungsebene erwartet, nicht nicht als Luxusgeschöpf ausstatten kann.
Wenn Frauen den (ursprünglichen) Männerberuf des Lehrers wählen, wird dadurch ihre Weiblichkeit nicht infrage gestellt. Sie wäre genauso Frau wie eine Hausfrau und Mutter.
Der Mann muss aber sein Geschlecht beweisen, als ganzer Mann. Abweichungen von hegemonialer Männlichkeit führen dazu nur noch als halber Mann wahrgenommen zu werden.

Ipsissimus
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Do 18. Jan 2018, 02:01 - Beitrag #19

Zitat von Feuerkopf:Mir fehlt hier immer die Perspektive der Männer. Warum kommt da so oft ein "Mimimi - aber die Jungs/aber die Männer..."?
Warum tun viele Männer sich so schwer mit den geänderten Lebensumständen, in denen Frauen ihren Anteil fordern und inzwischen vielfach auch bekommen?


Sorry, könntest du das ein bisschen konkreter ausführen, so verstehe ich nicht, was genau du meinst.

e-noon
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Do 18. Jan 2018, 21:44 - Beitrag #20

Sie werden nicht auf der formellen Ebene geächtet, sondern auf der informellen Ebene.
Über jedem männlichen Erzieher schwebt das Damokles-Schwert des Missbrauchsverdacht.
Außerdem muss er sich damit abfinden, dass eine Partnerin, die noch immer eine Versorgungsebene erwartet, nicht nicht als Luxusgeschöpf ausstatten kann.
Wenn Frauen den (ursprünglichen) Männerberuf des Lehrers wählen, wird dadurch ihre Weiblichkeit nicht infrage gestellt. Sie wäre genauso Frau wie eine Hausfrau und Mutter.
Der Mann muss aber sein Geschlecht beweisen, als ganzer Mann. Abweichungen von hegemonialer Männlichkeit führen dazu nur noch als halber Mann wahrgenommen zu werden.

Hast du dafür irgendeine Evidenzgrundlage außer Anekdoten aus dem Freundeskreis? Für mich klingt das nach ausgemachtem Schwachsinn.

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