Arbeiten wir mal den großen Skandal von letztem Monat auf: Claas Relotius, mehrfach preisgekrönter Journalist, vor allem bei Spiegel aber auch als Gelegenheitsbeitragender bei anderen Medien, hat es mit dem Berufsethos wohl nicht allzu genau genommen.
Einer meiner ersten Gedanken war, dass nun nicht nur diese einzelne Person und die ihn nicht hinreichend kontrolliert habenden Vorgesetzten schwer beschädigt sind, aber auch nicht unbedingt gleich der gesamte Journalismus an sich - sondern vor allem das Genre der Reportage. Politikerporträts, in denen mehr Zeilen für die Beschreibung der Wandtapete im Büro als für die Inhalte aufgewendet werden, oder vor-Ort-Recherchen, bei denen dann vor allem die Lichtstimmung ausführlich gewürdigt wird, waren mir schon immer unsympathisch, da sie a) meine Lesezeit auf der Suche nach den eigentlichen Informationen verschwenden und b) eben die Subjektivität und Fehleranfälligkeit des Journalisten unangenehm hervorheben. a) ist meinetwegen eine reine Frage der persönlichen Vorliebe, und der Markterfolg gibt den Produzenten solcher Quasi-Belletristik halt bisher recht; b) ist aber eben genau das eigentlich offensichtliche Problem, das anscheinend verantwortlichen Redakteuren nie so richtig aufgefallen zu sein scheint - oder im Dienste der Auflagenzahl und in pseudoliterarischer Hybris halt bewusst ignoriert wurde. Angesprochen wurde diese Teillektion des Skandals auch ganz gut in diesem Interview mit di Lorenzo.
Interessanter Nebenaspekt: wie sehr sich der Begriff "Reporter" in der Allgemeinsprache und im Journalisten-Slang anscheinend auseinanderentwickelt haben. Verwendet die Allgemeinheit den Begriff (oder ist es zumindest mein Eindruck davon) vor allem für Journalisten, die über eine aktuelle Faktenlage vor Ort berichten - siehe den "Rasenden Reporter" - war es dem Spiegel in dieser Affäre anscheinend besonders wichtig, zu betonen, ein "Reporter" sei ein spezieller Journalist, der eben "Reportagen" schreibt, also lang recherchierte, tief in den Hintergrund eintauchende und eventuell halt auch subjektiv gefärbte Texte, eben keine aktuellen und simplen Faktenberichte.